STEFAN GEORGE
langsame stunden überm fluss
langsame stunden überm fluss.
Die welle zischt wie im verdruss
Da von dem feuchten wind gefrischt
Ein schein bald blendet bald verwischt.
Wir standen hand in hand am strand
Da sah sie ähren in dem sand.
Sie trat hinzu und brach davon
Und fand auf diesen tag den ton:
Beginnend klang er hell und leicht
Wie von dem ziel das wir erreicht.
Dann ward er dumpfer als sie sang
Vom fernen glück – wie bang! wie lang!
1897
Es ist ein Fest der Sinneswahrnehmungen, das hier der Kunst-Absolutist Stefan George (1868–1933) in einem Gedicht aus dem Band Das Jahr der Seele (1897) arrangiert hat. Eine Begegnung am Fluss zwischen einem Ich und einem Du wird zum Offenbarungserlebnis von Vergänglichkeit und Glücksferne; Schauplatz ist eine ins Zaubrische erhobene Natur. So erhaben die Erfahrung des Leuchtens und Tönens der Naturphänomene auch inszeniert ist: am Ende steht die Gewissheit eines Verlusts.
Selbst in der Verschränkung von Sinnes- und Form-Erlebnis ist noch ein „gewalttätiger Wille“ spürbar, beklagte der Philosoph Theodor Adorno angesichts solcher musikalischer Versgebilde. Die preziös-strenge Form gibt dem Gedicht Georges noch dort etwas Gewolltes, wo er die Sprache in ein gelöstes, suggestives Tönen entbinden will. Das gilt auch für diesen Text aus dem Zyklus „Traurige Tänze“, der wie alle übrigen 31 Gedichte aus diesem Kapitel von Das Jahr der Seele dreistrophig ist.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007
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