Theodor Fontanes Gedicht „Großes Kind“

THEODOR FONTANE

Großes Kind

Ich bin, trotz manchem Unterfangen,
Ein großes Kind durchs Leben gegangen.

Ich las das Tollste, die Hauptgeschicht’,
Immer nur im Polizeibericht.

Und dieses Tollste – von ihm zu lesen,
Ist eigentlich auch schon zuviel gewesen.

ca.1897/98

 

Konnotation

Lange bevor er an die Abfassung seiner großen Romane ging, hat Theodor Fontane (1819–1898) Gedichte geschrieben, die meist im Plauderton daherkommen, in paarweise gereimten Knittelversen, scheinbar kunstlos und doch pointiert. Fontane debütierte als Lyriker 1840 im Berliner Figaro und publizierte in den folgenden Jahren in rascher Folge unzählige weitere Gedichte und Balladen, die oft zu konkreten Anlässen geschrieben wurden.
Zu seinen „Liedern und Sprüchen“, die 1898 in dem umfangreichen Sammelband Gedichte veröffentlicht wurden, zählt auch der ironische Merkvers über den biederen Lebenslauf eines Naiven, der, unbehelligt durch die Turbulenzen seiner Gegenwart, immer nur aus der Zeitung die „Hauptgeschicht’“ seines Daseins erfährt. Wo sich ein ambitionierter Lebensplan regt, etwa im Hinweis auf „manches Unterfangen“, wird er in seiner Bodenlosigkeit kenntlich gemacht.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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