THOMAS ROSENLÖCHER
Das Echo
Im Grün des Waldes saß ich nieder
in lichtdurchwirkter Stille, lauschend,
und Mückenstäubchen fuhren auf und nieder,
da ihren Bogen die Betonbahn rauschend
ums grüne Zelt schlug. Wie sie wieder lügen.
Was auseinanderfährt, zusammenbiegen.
In Volkes Namen mit den Brillen rucken.
Und Wort für Wort das Wort zu Tode drucken.
Daß Baun Zerstörn heißt und Verfall der Rest.
Gut gehen, daß es jeder gehen läßt.
Umsicht, daß wer wie was wanns wo gibt weiß
Und um den eigenen Scheiß sich kümmern, Fleiß.
Sprach ich und lauschte. Echo? Haarausfall.
Durch schüttres Astwerk lugte schon das All.
1988
aus: Thomas Rosenlöcher: Die Dresdner Kunstausübung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1996
Die Sehnsucht nach einer unversehrten, erhabenen Natur wird in den Elegien und Idyllen des sächsischen Dichters Thomas Rosenlöcher (geb. 1947) emphatisch aufgerufen wie auch ironisch konterkariert. Die alten Versmaße, die Distichen, Alexandriner oder Blankverse beherrscht Rosenlöcher virtuos; er überführt sie in eine lyrische Kunst lässiger Unvollkommenheit. In burlesker Manier, in schelmischen, gelegentlich auch kalauernden Tonarten besingt er augenzwinkernd kleine und kleinste Dinge. Aber auch das Pathos verschmäht er nicht.
Sein 1988 noch zu Lebzeiten der DDR entstandenes Sonett „Das Echo“ verbindet zwei unterschiedliche Tonlagen: Die romantische Natur-Emphase wird gebrochen durch zornige Sentenzen gegen das Aufbau-Pathos und gegen die Manipulation der Öffentlichkeit. Am Ende des Gedichts blitzt dann wieder das Schalkhafte des Ironikers auf. Das Eichendorffsche „Lauschen“ wird profaniert durch das Benennen des peinlichen „Haarausfalls“.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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