Uwe Kolbes Gedicht „Nacht“

UWE KOLBE

Nacht

Schon wieder geht das Alleinsein durch.
Schon wieder die stillen Pferde.
Schon wieder weiß ich, wie ich leben will
und daß ich nicht lebe so.
Schon wieder Nacht und Stille,
das Angebot, und der Fernseher sagt,
was Himmel war, hat sich bezogen
vor meinen verschlossenen Fenstern.
Schon wieder die stillen Pferde.

2008

aus: Uwe Kolbe: Heimliche Feste. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2008

 

Konnotation

Hier gehen mit niemandem mehr die Pferde durch, im von Uwe Kolbe (Jahrgang 1957) geschriebenen Gedicht. Vielmehr scheint jedes Potential für Veränderung erstickt vom Aufgebot einer medialen und durchkommerzialisierten Realität. Diesen Schluss bietet das Gedicht bereits mit der im ersten Vers einsetzenden Litanei-Form an.
Nach seinem litaneihaften Start bewegt sich „Nacht“ auf den resignativen Stillstand zu, der im letzten Vers pointiert wird. Das Ende von Mobilität und die Abwendung von der Welt werden hier komplett: der Fernseher ist das einzige Fenster nach draußen, die eigentliche Sicht ist verschlossen. Verfügt das sprechende Subjekt auch über ein Bewusstsein seiner Situation, denkbare Aufbrüche und Neuanfänge führen es wieder an den Anfang zurück. Die mit einem Neuanfang verbundene Geste, die etwa einen politischen Wandel anzeigen könnte, wird im Gedicht völlig skeptisch gesehen. Das Einzige, das „durchgeht“, ist das Alleinsein.

Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00