WILHELM BUSCH
Seelenwanderung
Wohl tausendmal schon ist er hier
Gestorben und wiedergeboren,
Sowohl als Mensch wie auch als Tier,
mit kurzen und langen Ohren.
Jetzt ist er ein armer blinder Mann,
Es zittern ihm alle Glieder,
Und dennoch, wenn er nur irgend kann,
Kommt er noch tausendmal wieder.
1904
Obwohl er als begeisterter Schüler Arthur Schopenhauers (1788–1860) mehrfach dessen Überlegungen zur Wiedergeburt und Reinkarnation aufnahm und zitierte, blieb der boshafte Humorist und sarkastische Menschenfeind Wilhelm Busch (1832–1908) stets auf Distanz gegenüber dem Gedanken der Seelenwanderung. Es gibt zahlreiche Gedichte Buschs, die zwar von der Realität der Reinkarnation ausgehen, zugleich aber die Konsequenzen der Seelenwanderung ins Lächerliche ziehen.
Auch in seinem letzten zu seinen Lebzeiten erschienenen Buch Zu guter Letzt (1904) kann es Busch nicht lassen, dem faszinierenden Phänomen der Reinkarnation mit den Mitteln der Komik zu Leibe zu rücken. Dass die Wiedergeburt faktisch Wesen „mit kurzen und langen Ohren“ hervorbringt, macht er ebenso zum Anlass des Spotts wie die Vorstellung des hinfälligen Greises, der auf die nächste Metamorphose hofft.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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