WILHELM BUSCH
Unfrei
Ganz richtig, diese Welt ist nichtig.
Auch du, der in Person erscheint,
Bist ebenfalls nicht gar so wichtig,
Wie deine Eitelkeit vermeint.
Was hilft es dir, damit zu prahlen,
Daß du ein freies Menschenkind?
Mußt du nicht pünktlich Steuern zahlen,
Obwohl sie dir zuwider sind?
Wärst du vielleicht auch, sozusagen,
Erhaben über gut und schlecht,
Trotzdem behandelt dich dein Magen
Als ganz gemeinen Futterknecht.
Lang bleibst du überhaupt nicht munter.
Das Alter kommt und zieht dich krumm
Und stößt dich rücksichtslos hinunter
Ins dunkle Sammelsurium.
Daselbst umfängt dich das Gewimmel
Der Unsichtbaren, wie zuerst,
Eh du erschienst, und nur der Himmel
Weiß, ob und wann du wiederkehrst.
um 1900
Die Einsicht in der Nichtigkeit des Daseins hat der sarkastische Humorist und Bildergeschichtenerzähler Wilhelm Busch (1832–1908) von der pessimistischen Philosophie seiner Leitfigur Arthur Schopenhauer (1788–1860) geborgt. Die „Unfreiheit des Willens“ und die „Unfreiheit des Christenmenschen“ hatte Schopenhauer in seinen Schriften en detail bloßgelegt. Busch illustriert diese Erkenntnisse in Sprüchen und Denkbildern, die im freundlichen Ton gehalten sind, aber die Falltüren zu einem Vergeblichkeitsgefühl öffnen.
In seinem um 1900 entstandenen Gedicht steuert Busch zielsicher auf die grimmige Entzauberung des Menschenlebens zu. In der vorletzten Strophe diagnostiziert er den unvermeidlichen Sturz in Alter und Vergänglichkeit und resümiert das in der finster-atheistischen Formel vom „dunklen Sammelsurium“. Am Ende kehrt er dann etwas überraschend zu einem Lieblingsgedanken Schopenhauers zurück – der Idee der Reinkarnation.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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