Wilhelm Busch’ Gedicht „Verzeihlich“

WILHELM BUSCH

Verzeihlich

Er ist ein Dichter, also eitel.
Und, bitte, nehmt es ihm nicht krumm,
Zieht er aus seinem Lügenbeutel
So allerlei Brimborium.

Juwelen, Gold und stolze Namen,
Ein hohes Schloß im Mondenschein
Und schöne höchstverliebte Damen,
Dies alles nennt der Dichter sein.

Indessen ist ein enges Stübchen
Sein ungeheizter Aufenthalt.
Er hat kein Geld, er hat kein Liebchen,
Und seine Füße werden kalt.

Um 1900

 

Konnotation

Über die Charaktereigenschaften seiner Spezies, des nach öffentlicher Beachtung hungernden Dichter-Clans, macht sich der pessimistische Bildergeschichtenerzähler, Zeichner und Dichter Wilhelm Busch (1832–1908) keine Illusionen. Zur Grundausstattung des Dichters gehören für ihn unzweifelhaft: Eitelkeit, Talent zur Lüge, Habgier, Vielweiberei und Simulation des Romantischen. Aber die dritte Strophe benennt dann lakonisch die Begrenzungen der Poeten.
In der letzten Strophe werden als Ingredienzien der realen Dichter-Existenz die Bild-Suggestionen aus Carl Spitzwegs zwischen 1839 und 1847 komponiertem Gemälde Der arme Poet aufgerufen. Der Dichter hockt in seiner ungeheizten Stube, er scheint verlassen von der Welt, und seiner romantisch erhitzten Phantasie von den „höchstverliebten Damen“ entspricht der Wirklichkeit ein eklatanter Mangel an denselben. Man geht nicht fehl, wenn man in dieser trostlosen Lagebeschreibung aus dem posthum veröffentlichen Band Schein und Sein (1909) ein Selbstporträt Buschs erkennt.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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