WOLF BIERMANN
Bildnis einer jungen Frau
Sarabande für Meleken
Ich weiß wo ich herkomm
Und weiß auch wo ich bin,
Doch müßt ich jetzt sterben
Dann wüßt ich nicht, wohin.
Ach Weggehn macht traurig,
Und Bleiben tut weh,
Es wachsen die Knospen
Schon unter dem Schnee
Es fängt ja der Frühling
Im Winter schon an,
Das will ich: Dein Weib sein,
Und du, du sei mein Mann!
Mir wächst unterm Herzen
Ein Menschlein von dir
so hab ich dich sicher,
Auch wenn ich dich verlier
1964
aus: Wolf Biermann: Die Gedichte und Lieder 1960 bis 2001. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003
In seinen besten Balladen kann der Dichter und Liedermacher Wolf Biermann (geb. 1936), der als renitenter DDR-Kommunist und ketzerischer Dissident berühmt wurde, noch immer als inspirierter Wiedergänger Heinrich Heines (1797–1856) gelten. In einem ganz frühen Gedicht, das er 1964 noch in der DDR, in einer dort publizierten Anthologie, veröffentlichen konnte, hat Biermann bereits jenen Volksliedton entfaltet, der seine intensiven Werke auszeichnet.
Die Dialektik von „Bleiben“ und „Weggehn“ ist das Lebensthema Biermanns. In seiner „Sarabande“, die musikgeschichtlich ursprünglich der laszive oder auch gravitätische Teil einer barocken Suite ist, kreist der Dichter um das Ringen um Liebe und um die Furcht vor deren Verlust. In der zweiten Strophe spricht ein weibliches Ich und formuliert einen Appell an den Liebhaber, dessen Zugewandtheit sich die Liebende nicht sicher sein kann.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
Schreibe einen Kommentar