WOLF WONDRATSCHEK
Als Alfred Jarry merkte, daß seine Mutter
eine Jungfrau war, bestieg er sein Fahrrad
Mitunter Polen und was mir gefällt
erbaut aus Pappmaché an einem Merdredi
den Spinnenhimmel einszweidrei
ein Tandem im Delirium
ein Sporttrikot den Mittelscheitel
tja! sagt die Welt und geht zu Fuß zu Grunde
was mir gefällt, gefällt mir ohne Welt
und irgendwo im Spaß
reift eine dicke Birne Ewigkeit
1968
aus: Neue Expeditionen. Deutsche Lyrik von 1960–1975. Hrsg. von Wolfgang Weyrauch. Paul List Verlag, München 1975
Mit einem seiner ersten Gedichte gelang dem damals 24jährigen Wolf Wondratschek (geb. 1943) im politischen Schlüsseljahr 1968 gleich ein Coup: Er eroberte mit einem grotesken, heiter-surrealistischen Gedicht den Leonce-und-Lena-Preis. Der später als Deutschlands einziger „Rock-Poet“ verehrte Dichter bediente sich – wie so oft in seinen Texten – einer Poetik der Überraschung. Dabei haben sich seinen Fans nur die ersten beiden Zeilen des Gedichts eingeprägt, während die übrigen Verse in Vergessenheit gerieten.
Hier meldet schon der literarische Außenseiter Anspruch auf eine höchst eigenwillige Eroberung der Welt an. Ein ironischer Subjektivismus, versessen auf satirische den 1970er Jahren schlüpfte Wondratschek dann lieber in die Rolle des lonesome Cowboy, der die Schmerzen einer einsamen Männerseele besang.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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