– Zu Luís Quintais’ Gedicht „Nach der Rede von Xanthos, dem Pferd“ aus Luís Quintais: Die reglose Nacht. –
LUÍS QUINTAIS
Nach der Rede von Xanthos, dem Pferd
aaaaaaaaaaaanach Illias, 19, V. 400–20
Nach der Rede von Xanthos, dem Pferd,
bleiben wir vor dem verstummten Ausschnitt
der dichten Natur zurück, einem unermesslichen
Horizont, der uns allerorts
belagert.
Dessen wird es keinen
Erlass geben und das Schweigen
der Handlungen
des wiederholten Todes
wird in uns
die Wort-
wunde hinterlassen,
ein ums andere Mal
besucht und besucht
und besucht.
und Anthropologe Luís Quintais, geboren 1968 in der damals noch Kolonie Angola (Vila Luso), versammelt im Ilion-Kapitel seines Gedichtbandes Die reglose Nacht gleich zwei Texte, die sich auf die Prophetie des Pferdes von Achill beziehen. Gerade noch war Patroklos der Freund des Helden mit ihm auf dem Schlachtfeld vor der Stadt, gerade noch hatte der wagenlenkende Patroklos ihm die (ἀθάνατοι) unsterblichen Vierbeiner Xanthos und Balios gestriegelt und gefüttert, und schon ist Patroklos nicht mehr. Eben noch hatte eine Gottheit dem Pferd die Gabe des Sprechens verliehen und im folgenden Augenblick prophezeit das vollblütige Tier den nächsten Abgang vom Feld vor Troja, den Tod des Achill – und fällt abermals stumm. Es geht in diesem Gedicht hier um die Wunde des Unaussprechlichen. Im anderen Xanthos-Text von Luís Quintais heißt es hingegen:
Ein Pferd spricht,
prophezeit den Tod
des Achill.
Dann verliert es
die Sprachgabe, und die Welt
schleppt sich dahin,
von Zorn und Verzweiflung
verseucht.
Hier steht also die Vergeblichkeit des Gesprochenen im Vordergrund: Angesichts des Zorns (die Triebfeder auch von Achill und vom Epos überhaupt) bleibt die Prophezeiung des Xanthos eben das: Pferdegerede. So führen diese beiden Gedichte in die paradoxe Gestalt dichterischen Sprechens hinein: Einerseits verstrickt sich hier das poetische Zeichen in den Rausch seiner Uneinholbarkeit, in die Vergeblichkeit seiner gänzlichen, vollen Wahrnehmung, und andererseits hinterlässt das Abklingen, das Verstummen des poetischen Zeichens dort eine Wunde, das heißt eine Wortwunde, die selbst bloßes Erzählen, Berichten, Beschreiben und Besingen ist, aber nicht das Wahrgenommene selbst. Michael Krüger merkt im Nachwort des von Mário Gomes übersetzten Bandes an:
Wissenschaftler und Dichter, geht das? Ja, wenn man ein pensador lírico ist, ein Dichterdenker, der bei seinen Forschungen in dem unübersichtlichen Gebiet zwischen den Kulturen jenes lyrische Denken entwickelt, das ihm hilft, eine eigene Poetik zu erarbeiten.
Wenn die vorübergehende Sprachbegabung eines unsterblichen Gauls mehr über den Lauf der Dinge sagt als die Taten des sterblichen Helden Achill, der diese Handlungen durchleidet und zornig strebt, dann rückt vielleicht ein Baustein dieser Poetik etwas mehr in Fokus.
Paul-Henri Campbell, Volltext, Heft 1, 2022
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