Schönherz & Fleer: Rilke Projekt

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Schönherz & Fleer: Rilke Projekt

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Schönherz & Fleer: Rilke Projekt

DIE WELT DIE MONDEN IST

Vergiß, vergiß, und laß uns jetzt nur dies
erleben, wie die Sterne durch geklärten
Nachthimmel dringen, wie der Mond die Gärten
voll übersteigt. Wir fühlten längst schon, wies
spiegelnder wird im Dunkeln; wie ein Schein
entsteht, ein weißer Schatten in dem Glanz
der Dunkelheit. Nun aber laß uns ganz
hinübertreten in die Welt hinein
die monden ist.

 

 

 

 

Vorwort

Warum gerade Rilke, werden wir oft gefragt. Seine Sprache hat uns vom ersten Moment an fasziniert. Dieser große Dichter der Moderne begleitet uns jetzt schon seit fast zwanzig Jahren. Im Laufe der Zeit ist er uns zum Lebensprojekt geworden. Seine Lyrik drückt das aus, was wir empfinden, selbst jedoch nicht in Worte fassen können. Rilke hat über seine Sprache einen Weg gefunden, Denk- und Weltbilder zu beschreiben, in denen wir uns erkennen und Unbewusstes wiederfinden. Wir haben den höchsten Respekt vor den Sprachgemälden, die Rilke wählt. Sie sind so eigen – so etwas hat man nie zuvor und nie danach gehört. Für einen Komponisten ist es ein Traum und zugleich ein Wagnis, diese Sprache in Musik fassen zu dürfen. Von Anfang an haben wir eine Art Seelenverwandtschaft zwischen den Texten Rilkes und unserer Art des Komponierens gespürt. Es ist ein langer Prozess, bis ein Gedicht seine musikalische Form annimmt. Man spürt, wenn es stimmig ist. Es ist wie ein Dialog.
Der Text spricht mit uns, und an einem bestimmten Punkt bilden Text und Musik eine Einheit. Wir wollen die Lyrik Rilkes nicht untermalen, wir wollen sie mit unseren Kompositionen neu interpretieren. Wenn dann die Lyrik Rilkes in unserer Musik Resonanz findet, entsteht etwas Neues, in dem Worte und Musik miteinander verbunden sind.
Wesentlich für das Rilke-Projekt sind die Schauspieler und Musiker, die mit ihrer ganz persönlichen Interpretation den Worten Rilkes Aktualität und Nachhaltigkeit verleihen und uns zu berühren verstehen. Es ist nicht allein die Stimme des Künstlers, es ist auch seine Persönlichkeit, seine Erfahrung, das, wofür er als Mensch steht. Hier verschmelzen Poesie, Interpret und Musik.
Die verschiedenen künstlerischen Ansätze, Lyrik zu interpretieren, haben von jeher eng miteinander korrespondiert. Seit Menschengedenken werden Gedichte vertont, finden bildende Künstler Inspiration in Reimen. Für uns spielt auch der visuelle Aspekt eine große Rolle. So etwa haben wir auf der Bühne unsere Musik mit Projektionen unterstützt. Wir freuen uns, dass Rilkes Poesie durch dieses Buch unmittelbar erlebt werden kann – Rilke zum Anfassen, wenn man möchte.
In vier Kapiteln, welche die vier bislang erschienenen CDs des Rilke-Projekts in ihrer neu gemasterten Form vorstellen, kann der Hörer verfolgen, wie wir uns über die Jahre zur Aufgabe gemacht haben, die Sprache Rilkes in Musik zu übersetzen und zusammen mit den Interpreten ein neues, zeitgemäßes Kunstwerk zu schaffen. Nicht zuletzt möchten wir mit unseren Vertonungen die Komplexität der Sprache des Dichters ein Stück weit zugänglicher machen und so auch Menschen, die sich bislang vielleicht gar nicht so sehr für Rilke interessiert haben, die Möglichkeit geben, sich für seine Dichtung zu öffnen und von ihr begeistern zu lassen – wie sie uns jeden Tag aufs Neue begeistert.

Wir wünschen viel Freude beim Sehen, Fühlen und Hören.

Richard Schönherz & Angelica Fleer, Frankfurt am Main, im Oktober 2015, Vorwort

 

 

Rilke Projekt: Eine Liebesgeschichte von Angelica Fleer und Richard Schönherz

– Peter Ustinov, Udo Lindenberg, Mario Adorf, Klaus Meine oder Montserrat Caballé – sie alle haben bereits beim Rilke-Projekt mitgewirkt. Seit genau 20 Jahren vertonen die beiden Wahlfrankfurter Angelica Fleer und Richard Schönherz Rilke-Gedichte, die sie von Künstlern vortragen lassen. Zum Geburtstag gibt es Album Nr. 6. –

Wenn Nina Hagen „Vergiß“ flüstert und am Ende von der Welt singt, „die monden ist“, möchte man ihr sofort in die Nacht folgen. Ihre Stimme, gepaart mit den Worten des Dichters Rainer Maria Rilke, erzeugt eine magische Atmosphäre. „Die Welt, die monden ist“, war das erste Stück auf der ersten CD des Rilke-Projektes. Mit ihm hat alles angefangen, vor genau 20 Jahren. „Ich liebe es immer noch sehr“, sagt  Angelica Fleer. Die Musikerin und Produzentin kam mit ihrem Partner Richard Schönherz, ebenfalls Musiker, Produzent und Arrangeur, damals auf die Idee, Rilke-Gedichte mit modernen Klängen zu vertonen und sie dazu von prominenten Stimmen interpretieren zu lassen. Geboren war das Rilke-Projekt, das zwei Jahrzehnte später auf fünf erfolgreiche CDs, darunter drei mit Goldstatus, und etliche Live-Konzerte zurückblicken kann.
Zunächst aber galt es, die richtigen Stimmen zu finden. „Eine liebe Freundin hat uns damals den Kontakt zu Nina Hagen vermittelt“, erzählt Angelica Fleer. Diese habe die Sängerin spontan abends bei einer Flasche Wein gebeten, den Text aufzunehmen. „Wir haben das so verwendet. Es hat genau zu der Tonlage gepasst, in der wir die Musik komponiert hatten“, ergänzt Richard Schönherz. Für den gebürtigen Wiener war die Vertonung von Gedichten damals kein Neuland mehr. Er hatte zuvor bereits für André Heller Kompositionen und Arrangements gemacht, ebenso wie für Georg Danzer, Wolfgang Ambros, Reinhard Mey oder Erika Pluhar, und zwei österreichische Beiträge zum Eurovision Song Contest geliefert. Mittlerweile lebte und arbeitete er in Kalifornien. Dort waren es gerade einmal acht Zeilen Rilkes, die Zündfunke für das Projekt wurden, genauer, sein Gedicht mit dem Titel „Ich lebe mein Leben“, das Schönherz irgendwann einmal auf sein Klavier geklebt hatte. Es sei nicht nur die Initialzündung für das Projekt, sondern auch der Beginn ihrer Liebesgeschichte gewesen, erzählt Angelica Fleer.
Schönherz war in den 1970er-Jahren als Musiker von Wien aus für ein paar Jahre nach Frankfurt gegangen. Als er fast 30 Jahre später mal wieder zu Besuch am Main war, hörte er das Soloalbum Waiting For The Big Rain von Angelica Fleer und war sofort begeistert.

Ich habe sie eingeladen, mit mir zusammenzuarbeiten und dafür nach Kalifornien zu kommen.

Sie kam, stand an seinem Klavier und blickte auf das Rilke-Gedicht. „Die Worte haben mich damals so berührt“, erinnert sich die Musikerin noch heute. Der Dichter male fantastische Bilder für Komponisten. Die Künstler, die beide eine klassische Klavierausbildung haben, fühlten sich inspiriert, Musik dazu zu schreiben. Ihre Vertonungen, die mal jazzig klingen, mal sphärenhaft oder poppig, wollen das gesprochene Wort hervorheben, es ergänzen. „Die Musik wirkt wie ein emotionaler Verstärker, sie stellt einen direkten Weg zum Gefühl her“, finden beide. Auf die Liebe zu Rilke folgte nach rund eineinhalb Jahren auch die Liebe zueinander. Seitdem sind Schönherz & Fleer ein Paar, beruflich und privat.
Mit ihrer völlig neuen Idee trafen sie vor 20 Jahren bei den Produzenten und Plattenfirmen allerdings eher auf Skepsis. „Die dachten, wir verkaufen sowas höchstens in homöopathischen Dosen“, stellt Richard Schönherz heute lachend fest. Der kommerzielle Aspekt habe für sie aber nie im Vordergrund gestanden. Viele mitwirkende Prominente sahen das ähnlich.

Wir sind häufig offene Türen eingerannt, Schauspieler wie Otto Sander, Hannelore Elsner oder Mario Adorf waren große Bewunderer Rilkes.

Sie ließen sich nicht lange bitten. Selbst Sir Peter Ustinov lud sie wenige Monate vor seinem Tod noch in seine Villa am Genfer See ein, um eine Aufnahme zu liefern. Die spanische Sopranistin Montserrat Caballé sagte ebenfalls zu, auch wenn die beiden Musiker auf die Gelegenheit, die wenigen Gesangstakte zu „Ich lebe mein Leben“ mit ihr aufzunehmen, schließlich monatelang warten mussten.

Aber wenn so ein Weltstar zusagt, wartet man.

Die wenigsten Künstler singen auf den Alben. Selbst Sängerinnen wie Patricia Kaas oder Sänger wie Wolfgang Niedecken sprechen die Texte, auf Hochdeutsch. Die Musik, die Schönherz & Fleer dazu schreiben, bekommen sie vorher nicht zu hören. „Die bleibt geheim, und doch passen häufig Musik und Sprache auf Anhieb perfekt zusammen“, berichtet Richard Schönherz. Dennoch waren die ersten Reaktionen in den Feuilletons eher zurückhaltend.

Wir haben, gerade von den Puristen, viel Häme einstecken müssen, wie man Rilke so vertonen könne.

Ein Lob wog damals allerdings wesentlich schwerer: „Ein Enkel Rilkes aus Paris bedankte sich bei uns für die wunderbare Interpretation. Er habe dadurch festgestellt, wie modern Rilke ist“, erzählt Angelica Fleer stolz.
Auch Absagen von angefragten Künstlern habe es nur sehr wenige gegeben. Selbst wenn es anfangs anders aussah. Wie bei einem Reisegedicht, für das sie unbedingt Hardy Krüger gewinnen wollten.

Es gibt Gedichte, die kann nur einer machen. Aber seine Agentin war sich sicher: Das macht er nie.

Sie irrte sich und er las für das vierte Album die Zeilen aus „Der Fremde“. Heute kommen die Stars manchmal sogar von selbst, so wie Désirée Nosbusch, deren Agentur bei Schönherz & Fleer anfragte, ob sie beim nächsten Projekt dabeisein könne. Also buchten die beiden ein Studio in Luxemburg, wo sie gerade drehte, und machten die Sprachaufnahmen mit ihr dort. Sie wird Teil des 6. Rilke-Projektes, das die beiden noch in diesem Jahr fertigstellen wollen. Felicitas Woll sei auch dabei, verraten sie, und Ben Becker, ihr „Rilke-Ritter“, der sie von Beginn an begleitet.
Das neue Album ist das Geburtstagsgeschenk, das sie sich zum 20. selbst machen. Geplant war eigentlich eine Jubiläumstour, mit wechselnden Gästen. „Es gab schon Vorbereitungen dafür, aber wir mussten sie aufschieben. Spätestens zum 25. Geburtstag werden wir sie machen“, sagt Angelica Fleer und sieht es als Glück an, dass sie beide in dieser gänzlich veranstaltungsfreien Zeit wenigstens in ihrem Frankfurter Studio an dem Album arbeiten können. „Als Kreativer muss man flexibel sein, aber es ist schon hart“, stellt Fleer fest, die einst in Frankfurt studiert hat und anschließend als Keyboarderin unter anderem mit Johnny Logan, Robin Beck und Wolfgang Niedecken aufgetreten ist. Heute bietet sie zudem eine Schreibwerkstatt für poetisches Schreiben an, die während der Pandemie ebenfalls nicht stattfinden konnte.
Ende 2022 soll es aber wieder Rilke-Konzerte geben, so hoffen beide, um das neue Album live zu präsentieren. Der erste Live-Auftritt liegt dann 18 Jahre zurück. „Das war damals ein riesiges Unternehmen, mit Sattelschleppern und Tour-Bus, wie eine Rockproduktion“, erinnert sich Schönherz, der das von Tourneen mit André Heller kannte. Nur jetzt standen, neben den Musikern, Jürgen Prochnow, Nina Hoger und Robert Stadlober auf der Bühne. Die erste öffentliche Generalprobe in der gläsernen Manufaktur in Dresden werden beide nie vergessen. „Wir wussten nicht, wie unser Programm ankommt. Szenische Lesungen mit Musik gab es damals kaum. Als die erste Pause kam, haben wir gespannt gewartet, doch es hat niemand geklatscht“, erinnert sich Angelica Fleer, die in dem Moment schon anfing zu verzweifeln. Am Ende der Probe gab es aber doch Applaus. „Die Leute waren so gefesselt gewesen und wollten die Atmosphäre zuvor nicht stören“, erfuhren sie hinterher. Auf der Tour habe sich das jeden Abend wiederholt und sie einige Nerven gekostet.

Heute sind die Leute lockerer, weil sie das Format kennen.

Ihren Erfolg mit dem Projekt haben die beiden Musiker auch den schwierigen Zeiten zu verdanken, glaubt Angelica Fleer.

Poesie ist im Aufwind. Wenn die Zeiten gut sind, ist sie nur ein Nischenprodukt. In dunklen Zeiten brauchen die Menschen Seelennahrung.

Nach drei Rilke-Projekten versuchten die beiden es mit dem Werk einer anderen Größe der Literaturgeschichte und veröffentlichten Hermann-Hesse-Texte, gelesen von Caterina Valente, Roger Willensen und anderen. Auch davon gibt es mittlerweile zwei Alben. Die Weltwirtschaftskrise verhinderte aber eine geplante Tour. Also kehrten sie lieber zu Rilke zurück. „Er hat unser Leben geprägt“, sagen die beiden.
Aber auch sie haben viel für die Bekanntheit des 1926 verstorbenen Dichters getan.

Nach unserer ersten CD gab es plötzlich Neuauflagen von seinen Gedichten, selbst in der Lindenstraße wurde Rilke zitiert.

Das Projekt wurde sogar in einem Schulbuchverlag aufgenommen, sodass nun Anfragen von Abiturienten nach den Noten der Stücke bei ihnen ankommen. Auch in den Konzerten sitzen längst nicht nur 50-Jährige und Ältere im Publikum.

Es ist toll, wenn Jüngere auch durch unsere Musik einfacher Zugang zu Rilke finden und sich seine Gedichte über Whatsapp schreiben.

Die Zeit dafür scheint auch weiterhin günstig zu sein, wenn selbst Lady Gaga ein Rilke-Zitat als Tattoo auf dem Oberarm trägt.

Sabine Börchers, topmagazin, 16.11.2021

 

Webseite vom Schönherz & Fleer: Rilke Projekt

Schönherz & Fleer: Rilke Projekt auf Wikipedia

Schönherz & Fleer: Rilke Projekt auf YouTube

Schönherz & Fleer: Rilke Projekt auf Instagram

 

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Instagram 1 & 2 +
IMDbFondation + di-lemmata + Archiv 1, 2, 3 & 4 +
Internet ArchiveKalliope
Porträtgalerie: akg-images + IMAGO + Keystone-SDA

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00