– Zu Ernst Jandls Gedicht „Vater komm erzähl vom Krieg“ aus dem Band Ernst Jandl: dingfest. –
ERNST JANDL
Vater komm erzähl vom Krieg
vater komm erzähl vom krieg
vater komm erzähl wiest eingrückt bist
vater komm erzähl wiest gschossen hast
vater komm erzähl wiest verwundt worden bist
vater komm erzähl wiest gfallen bist
vater komm erzähl vom krieg
Nach bewährtem Brauch hat der Dichter das Entstehungsdatum seines Gedichts festgehalten: „31.10.66“. Nicht das Jahr scheint wichtig, sondern die Jahreszeit: Es ist Herbst, zwei Tage vor dem Friedhofsfest des katholischen Totengedenkens „Allerseelen“. Nebelschwaden ziehen durchs Gemüt und machen auch den Körper frösteln. Von so vordergründig melancholischer Stimmung ist jedoch kein Hauch zu spüren. Dafür meldet sich deutlich der damals noch seinen Brotberuf ausübende Lehrer Jandl zu Wort. Der will mit Sprache stets etwas zeigen. Wessen Schüler mag er da sein?
Ernst Jandl hat ein zweites klassisches Kriegsgedicht geschrieben, also naturgemäß ein Antikriegsgedicht. Im Gedicht „schtzngrrnm“ führte er das Wesen des Schützengrabens, indem er ihm sämtliche Vokale verweigerte, lautmalerisch vor Augen und Ohren: ein Schreckensgemälde aus maschinengewehrknatternden Konsonanten. Später sollte Jandl sein „Sprechgedicht“ nüchtern kommentieren:
Der Krieg singt nicht.
Literarhistorisch folgt „schtzngrmm“ der Tradition des Expressionismus und von Dada, der Avantgarde unseres Jahrhunderts. Bei dem eher episch als lyrisch anmutenden Text „vater komm erzähl vom krieg“ könnte freilich jemand anderer Pate gestanden haben, den Jandl kaum je erwähnt und vielleicht auch nicht einmal in solcher Rolle wahrnahm: Bertolt Brecht mit seiner Lakonik und seiner List der Vernunft.
Dieses Lehrgedicht besticht nämlich dank raffinierter Strenge und Schlichtheit. Mit regionalem oder gar künstlichem Dialekt hat sein Deutsch wenig gemein, Jandl verwendet bloß statt der Hochsprache die österreichische Umgangssprache. Indes zeitigt die atmosphärische Färbung buchstäblich dramatische Folgen. Wir sehen eine Familienszene vor uns, in der Stunde abendlichen Beisammensitzens. Der Vater schweigt, das Kind redet unablässig, weil es abenteuerliche Geschichten hören möchte. Daher seine litaneihafte Lästigkeit, sein bohrendes Betteln. Und hatte die kindliche Neugier nicht Recht? Hat nicht jene Generation ihre Kriegserinnerungen am Stammtisch gerne und schwadronierend ausgepackt?
Materialverschwendung läßt sich den sechs Zeilen schwerlich vorwerfen. Sie benötigen, bei einem Gesamtverbrauch von fünfunddreißig Wörtern, nicht mehr als dreizehn unterschiedliche. Auch in puncto Metrik herrscht äußerste Sparsamkeit. Ausgerechnet an der Stelle „wiest verwundt worden bist“ wird das Gleichmaß, der militärische Gleichmarsch der Trochäen, verletzt. Der Verwundete stolpert, bevor er gleich darauf tatsächlich fällt. Ohne Zweifel kein Zeichen von Ausdrucksarmut, im Gegenteil. Gerade das Beharren auf denselben Formulierungen verstärkt deren Intensität, und refrainartig kehrt der Anfangsvers „vater komm erzähl vom krieg“ am Ende wieder. Dazwischen liegen die Stationen des Soldatenlebens, die heroische Ouvertüre mit Einrücken und Schießen und das erbärmliche Finale in Blut und Tod.
Doch die Botschaft des Gedichts wird nicht expressis verbis, nur durch die Form überbracht. Die im Aufforderungston versteckten naiven Fragen verstricken sich in ihrem eigenen Widerspruch. Und das ist auch schon die Antwort. Denn „vater komm erzähl wiest gfallen bist“ heißt nichts als: Die Logik des gemütlichen Sprechens vom Krieg ist genauso absurd wie der Krieg selbst.
In einer seiner Frankfurter Poetik-Vorlesungen meinte Ernst Jandl, dem Gedicht sei leider anzumerken, „wie die Zeit darüber hinweggeschritten ist“. Hier irrt der Dichter. Das Motto des Bandes „dingfest“, aus dem es stammt, mündet in dem Bekenntnis:
zu sagen gäbe es schließlich nur eines; dieses aber immer wieder, und auf immer neue weise.
Die neue alte Weise „vater komm erzähl vom krieg“ hat Bestand. Sie klingt genial einfach und bleibt darum einfach genial.
Ulrich Weinzierl, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Hundert Gedichte des Jahrhunderts, Insel Verlag, 2000
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