Andreas Koziol: Ein Buch der Schlafwandlungen

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Andreas Koziol: Ein Buch der Schlafwandlungen

Koziol-Ein Buch der Schlafwandlungen

Wieder eines von den Wundern,
das aber nach hinten losging.
Das heißt, ich trat zurück
in die Schwärze des Würfels
zu meiner fragwürdigen Tapete,
die derartig gerissen war,
daß sie schon in Zungen redete,
zu meinem arabischen Vogelgebet,
zu meinem Kapitän Fleischherz,
dem Kartenhausmeister der Windrose,
in dessen Kehle ein Sandsturm schlief.

Und ich dachte an die Freiheit der Kunst,
in keinem Geheimnis gefangen zu sein,
auf dem Nachhauseweg zu sein,
den Tod zu verachten, die Toten
der wechselnden Moden auszuschlachten.

Und ich machte mich an das Einfache,
das doch so schwer nicht zu machen sein kann,
wie etwa Versprechungen des Himmels
auf Erden Unterbrechungen der Hölle
zu einer Sache von Augenblicken machen,
die man gar nicht im Kopf haben kann.

Und ich diktierte alles
durch die Blume eines in Bronze gebadeten Seestern,
den mir meine Mutter vererbt hatte,
in einen transportablen letzten Schrei der Heimelektronik.

Dann stellte ich im virtuellen Wirtshaus
meines feierabendlichen Morgenschädels
alle Stühle auf den Tisch und ließ mich
von der Drehung des Bodens
langsam hinüber
rollen
auf den Bohlen der Schlagseite
dieser aufgedeckten Nacht,
in deren Kielraum die Sonne
ihr rosenfingriges Leck schlug.

Hinüber, dahin, überredet
von einem Interregnum, einem Regen,
der mit knöchern pulsierender Hand meiner
strahlenförmigen Glückssache namens Gegenwart
das ungewaschene Glasfell über
die ozeanischen Ohren zog.

 

 

 

Sprachvehikel, Sprechmaschinen

− Neues vom A.koziol. −

Geisterseherbetriebsausflugslyrik. Seltsame Sermone. Konfuse Tischreden. Führungslose Gespräche. Mechanische Abgesänge. Reime zuhauf, Assoziationsketten, Sonette. Wie schon in seinen frühen Texten (haha) setzt Koziol auf die tradierten Sprachvehikel, Sprechmaschinen. Einer, der die Sprechmaschine des Reims bis zum Exzeß nutzt. Man lese das Ditty für Dito. Bei ihm reimt sich Heimat auf Schwein hat, bleiern auf Flyern, Shakespeare auf Schläfen (ja, Schwan von Avon) Und selbst die Prosa schreibt sich hier abab.
Die Sprechmaschine des Klangzaubers in allerlei Abarten. (Nicht ohne sich dabei, selbstredend, auf die Finger des Handwerks zu schauen: Ein schwarzer Schwafelschwamm / fungiert als Sprachgewalt). Sprechmaschine der poetischen Syntax und des Parallelismus, des Hörfehlers (schwarze Bluekonserve; Würderegel Würgeengel). Der Metaphern (o Meer der Möglichkeiten: alles mit allem zu vergleichen!). Des Palindroms, des Zitats. Des Mißverstehens oder Umdeutens. Ein As im Vernehmen, Verhören und Falschverstehen.
Kann man den Dichter beim Wort nehmen? Ist dieses Aufgebot an Spiel noch ernst zu nehmen? Nur habe ich außer Worten nichts zu verlieren. Eine Parabel, aus Parolen von Parias der Poesie gemacht: Das ist gleichwohl kein Paperlapapp. – Ist dies Geprassel in Worten mehr als auch nur eine von den Alliterationen, die in dem großen Reich der Sprache hausen? Auch ich habe an der großen Freßgesellschaft teilgenommen, wenngleich auch nur zwischen den Stühlen, so wie es sich für Zuspätgekommene gehört, und habe mich köstlich unterhalten, besonders mit den Ellenbogen meiner Nachbarschaft, während unser alter Durst nach Wahrheit immer tiefer in der Bedeutungslosigkeit versank, meiner Tasse Tee – – (Splitter einer Legende vom großen Kuchen). Tatsächlich ist die Haut dünn, ist das Eis dünn. Ein Satz in Klammern: (Die Erschreckung des Worts, nur deines Worts, durch den Geist hinter jedem Ding, an dem es einmal wie im Schlaf vorüberging…diese Erschreckung reißt es aus seiner Verträumtheit.) So beginnt der Text: In Spiegeln gebrochenen Eises. –
Ja, der frühe A.koziol (der mit der leicht lösbaren Zunge) ist im Koziol der Neunziger wiederzuerkennen. Er erinnert an die Poesie meiner nie sehr weit gekommenen Generation. Nennt Namen: Döring Papenfuß. Verschweigt Namen. Einer wird hier überhaupt nicht erwähnt. Das steht in dem Gedicht Tradition der Differenzen, des der addition der differenzen aus dem ersten Band auf dem Versfuße folgt: die gleich witzigen, bissigen, genauen Wahrnehmungen, nur noch eine Spur härter: Einer ist still jetzt. Sonst geht’s ihm gut.
Wahrheit, Wirklichkeit: auch sie Wörter aus dem poetischen Vokabular Koziols. Was ist Wahrheit? Wirklich eine bange Frage, das lernt heute jedes Kind. Der tanzt auf dem Seil zwischen Spiel und Ernst. Eine Wirklichkeit ist nicht vonnöten, ja gibt es sie überhaupt? Aber der spielt Flöte oder geht flöten auf den Instrumentarien der Sprache, ein freilich ernster Spaß.
Dann das furiose Großgedicht von den Schlafwandlungen. Wir sollten uns daran erinnern, daß furios von den Furien kommt und von fury! Der sympathisch-verschrobene Kauz, der verlorene Ringelnatz am Ende des Jahrhunderts, das alles verdank ich der Presse, der notorisch als auch schlafwandlerische (da!) Liebhaber der sogenannten kleinen Form geht im Großstadtnovember 1996 umher mit seinem Oktavheft der Schlafwandlungen. In den Chor der Nachrichten und Erinnerungen mischen sich Zitate, poetologische Reflexionen, Michelangelo rührt an den Schlaf der Welt / mit Worten, die Meißel waren, Geschichte der Erinnerungen. Die Jugend weiß ich nun hinter mir. Geschichte von Gestern Heute Morgen, oder wars umgekehrt? Schlamm drüber. Kindheit in den Wäldern, das Sandmännchen und der andere somnambule Kobold des Kinderfernsehens spuken darin, die Gutenberggalaxis der Pionierbibliotheken. Gestalten, Zitatfetzen, wer spukt mit. Die epische Epilepsie in ihrem Lauf / hielt keine Hand keine Hintertür auf. Ach ja, die Geschichte. Die Aktuelle Kamera Obskura meldet: ein gewisser Kain alias Rip van Winkle habe gewisse vierzig Jahre verschlafen, oder geträumt? Sei’s drum, die Party, die Party hat immer recht. Die Labore des sogenannten gesellschaftlichen Experiments sind zerfallen und der Wind streicht resp. Die Rosinen im großen Kuchen bilden sich doch tatsächlich ein, die Urheber des Zusammenbruchs zu sein. (Ja, die Lektüre vergißt nicht, daß sie die sammlung kennt. Nur wer die sammlung kennt…Die schiere Worterotik verdirbt dem Kritiker die Distanz). In die Kalauer mischt sich ein Krächzen wie von einem Raben, Nevermore. Schon klingt die Sache wieder ganz anders, in die Geschichte der Kindheit, der Party oder wars Partei, die Geschichten der Nachrichten, mischt sich der alte Streit zwischen Body und Soul der Dichtung, die Barke Marke Nevermore, sinkt sie gar wegen Überfrachtung? Das alte, altdeutsche Problem Tiefgang. – So häufen sich bei jedem Wiederlesen mehr Randstriche und kryptische Lettern, die, da beim nächsten Mal nicht zu entziffern, jedesmal neu und anders gesetzt werden wollen. Irgendwann wird’s ein Schwarzbuch.
Der Schwung des Großgedichts wird von der großen Geste und den kleinen Floskeln des Rhetorischen getragen; einerseits…andererseits…damals…aber jetzt…ich sah…aber draußen…ich fand…eigentlich wollte ich. Sie stellen den Zusammenhang immer wieder her, wenn man in den Einzelheiten zu versinken droht; was heißt droht? Ein quasi unendlicherer Zusammenhang, in dem die Mikrostrukturen aufgehoben sind. Aufheben und aufheben…
Einmal nur unterbricht er den Zusammenhang durch eine längere Worterklärung. Beschwörungsformeln wie diese, sagt der Text, aus dem Fledermausflügel der Nuromantik geschüttelt, vertreibt mir das digitale Deutsch der Zeit / mit Lettern , die zum Engelmachen / wie im Schlaf geschaffen sind. Nuromantik wäre das zu erklärende Wort, die Erklärung erfolgt in zwei oder drei Anläufen. Darin geistert nicht nur, zum Dritten und Vierten, das Sprachvehikel der Marke Nevermore, sondern auch – ich reiße aus dem Zusammenhang – eine Beschreibung zweier verschiedener Arten, derlei Texte zu lesen: Der Fachmann spricht dann für eine dauernde Überarbeitung seines Resultats. Der Laie hingegen findet sich unter Umständen auch mit dem Witz ab. – Das diene hier als Ausstieg, dort als Einstieg. Nämlich: kann man so ein Gedicht auf CD gesprochen verbreiten? Der Gedanke scheint mir auch nicht verrückter, als der, so etwas zu drucken. 30 Seiten kleingedruckter Verse ohne Zwischenüberschriften. (Kleiner Tip: Auf einen Hieb zu lesen versuchen, ohne sich bei Details groß aufzuhalten. Wiederlesen macht Freude). Verwirklicht hat ihn, den Gedanken und den Druck, ein „Feunde der Poesie Leipzig-Berlin-Frankfurt a.M. – e.V.“ als Nummer VII der Poetischen Boegen, jener illegitimen Nachfolger des weiland Poesiealbum. Poesie, Mesdames ‘Sieurs.

Michael Gratz, moosbrand, Heft 6/1998

 

 

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Henryk Gericke liest am 28.6.2023 im Baiz.Berlin seinen Andreas Koziol-Nachruf „Inschrift“ und Robert Mießner schließt sich mit dem lesen von Andreas Koziols „Nachschrift“ an.

 

Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Die A.koziol“.

 

Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Andreas Koziol

 

Andreas Koziol liest 3 Gedichte zur Autorenlesung der Literatur- und Kunstzeitschrift „Herzattacke“ am 28.1.2016 im Roten Salon der Volksbühne.

1 Antwort : Andreas Koziol: Ein Buch der Schlafwandlungen”

  1. Laila sagt:

    Ein klarer starker Kopf.

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