Brigitte Struzyk: Der wild gewordene Tag

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Brigitte Struzyk: Der wild gewordene Tag

Struzyk-Der wild gewordene Tag

AUF EIN NEUES

Ich geh nicht in die Knie.
Die Konterbande mit dem Taschenspielertrick
ist ja noch nicht mal aufgeklärt.

Geht doch nicht
so einfach in die Knie!
Unkraut vergeht nicht.
Meine in fremde Hand
gefallnen Engel –
sie kennen keine Hintertüren.
Sie fallen auf
die unbewachte Wäsche
und reißen den Himmel
sich immer wieder
unter den Nagel.

 

 

 

Wo Verständigung beginnt

– Zu einer Gedichtsammlung von Brigitte Struzyk. –

END WICKELN

Rückt ruhig näher man kann schon was machen
Am richtigen Ende gepackt
wird das Chaos zur Kugel
und rollt den Weg der Geringen
Ganz artig ganz unscheinbar
einfach als Kugel
ins Chaos zurück.

Eine sonderliche Festigkeit ist in ihren Versen. Mir scheint, die Härte des Betons von Nazi-Bunkern, Großbauten des Sozialismus und Ähnlichem gilt nicht mehr neben ihnen. Wie beschreibt man solche Wirkungen? Rücken die Verse den Beton fort – fort aus seiner behaupteten Autorität dann haben sie ihn doch zuvor auch hergerückt, assoziiert? (Geht es zu weit, in einer Zeitung so intime Vorgänge wie das Denken zu bereden, obwohl sie fast jeder kennt? Denkschablonen freilich haben jedes Einspruchs- und Stör-Recht! Kaum spreche ich zum Beispiel von Fortrücken, rufen sie: „Ja! Sich mit Versen davonmachen! In den schönen Schein! Verantwortungslos!“ – Ein Gezücht von Verdächtigungen verqueckt die Gegend. Was die Sicht verstellt, nennt sich sonnenklar.)
Ich setze noch einmal an: Diese Verse scheinen ihre Stimme erst zu erheben, nach dem das betonierte Unheil, der morbide Zustand vorrangiger Bauunternehmerschaft ausreichend erfaßt wurde. Taub gegen Beschönigungen u.a. Nachdem, mit unerläßlicher Aufmerksamkeit, in einem ebenso unerläßlichen Schweigen, der angerichtete Schaden zur Kenntnis genommen wurde. Sie erweisen, daß die Welt dahinter nicht perfekt und zu Ende, nicht das Reich der Verzweiflung und Niemandsland ist, sondern sie betreten dahinter einen unbestreitbaren Raum, wo die Verständigung beginnt. Als sei das Besprechen, Behandeln das Natürlichste von der Welt. Daß nämlich Menschen nicht etwas anrichten und hernach unauffindbar sind. Daß sie sich mit dem, was sie tun oder zulassen, mit dem, was geschieht, nicht endgültig selbst verleugnen.

LETZTE VORSTELLUNG

Vom Schnürboden fallen
Staubwolken auf
die Fäden
Die sie in der Hand haben
sitzen im Parkett
Scharniere schnattern
ihnen Gelenkigkeit vor
Die sonst die Puppen
tanzen lassen
haben Puppengesichter
und reden gegenseitig
die Angst im Nacken
die Angst im Nacken
sich von der Stirn

WEIHNACHTSPLATTEN
Für Edda

Fällt wieder Schnee
auf die Rillen
Die Hüllen
sind froh
wie eh
und je
fällt wieder Schnee
auf die Rillen
Die Hüllen…

(usw. usf. bis ins Jahr 2000).

Recht deutlich für mich ist der Ton dieser Verse (das von Brigitte Struzyk in ihnen ausgeprägte Verhältnis zur Gesellschaft) ein Resultat der achtziger Jahre DDR. Die Frage: Konnten solche Texte „im Westen unseres Vaterlandes“ (wie es seinerzeit stereotyp hieß), oder (was gewiß nicht das gleiche ist!) – könnten sie heute oder morgen geschrieben werden, ergibt ein zusätzlich aspektreiches Lesen. Zusätzlich zu ihren Eröffnungen in dem geschlossenen Raum, in dem sie entstanden sind:

UNABHÄNGIG

Ich pule doch schon lange
keine Rosinen mehr
aus dem Marmor
ich esse sie schon lange
direkt vom Himmel
Dieses von der Hand
in den Mund Leben
fordert den Horizont
heraus auf die Straße
Die Windrose dreht sich
Es scheint ganz gleich

Freilich ist die politische Selbständigkeit geholt aus einem allgemeinen Vorrat an Möglichkeiten und Spielarten wie etwa: dem Verhältnis des Kindes zum Streit der Eltern, der Mutter zum Tumult der Kinder, des Hinzugekommenen zum Vorgefundenen, des Bedächtigen zur Panik, des Bekümmerten zur Verrohung und Verirrung, des Betroffenen zu einem Übel, das er nicht leugnet.
Nun erinnere ich mich, doch schon einmal einem Reden in einem ähnlichen Verhältnis begegnet zu sein. Es war Sarah Kirschs Ton und Haltung, etwas ähnlich Unbeirrtes in ihm, das ich (1976) zu beschreiben hatte und so beschrieb: „kein Flüstern ins Ohr, nicht ,Wortmeldung‘, eine öffentliche Sprache, die man spricht, wenn man zum Beispiel (ich gebe ein Bild von vielen aus dem Leben) die Betten beziehend sich unterhält – Öffentlichkeit von Gesicht zu Gesicht!“ Brigitte Struzyks Verse sind rauher, stummer. Weil sie später einsetzte? Als das Gemeinwesen schon nicht die mindeste scheinbare Unschuld mehr hatte?
Brigitte Struzyk erhielt im September den Lion-Feuchtwanger-Preis der Akademie der Künste Berlin-Ost.

Elke Erb, Neue Zeit, 27.11.1991

Weiterer Beitrag zu diesem Buch:

Thomas Rietzschel: Kalauer und geliehene Fragmente. Gedichte aus der DDR verlieren ihren Reiz
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. 2. 1990

 

DAS OBEN IST REGEN
Für Brigitte Struzyk

Wenn sich die Himmel auf –
regen fallen viele
Tropfen ab.
Und die Erde wird naß
macht sich vor Schreck ein.
Dann reagieren sich die hohen
Wolken ab bis zu uns.
Und der Wind?
Er soll trösten und säuselt:
„Regt euch bloß nicht auch noch auf!“
Überhaupt der Wind –
der ist ein großes Taschentuch!

Peter Wawerzinek

 

 

 

Fakten und Vermutungen zur Autorin + KLG
Porträtgalerie: deutsche FOTOTHEK
shi 詩 yan 言 kou 口

 

Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Brigitte Struzykk

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00