Christian Hawkey: Reisen in Ziegengeschwindigkeit

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Christian Hawkey: Reisen in Ziegengeschwindigkeit

Hawkey-Reisen in Ziegengeschwindigkeit

OBDACHLOSER KLON

Liest du mich, Kopie? Bist du
wie ich gesprungen
durch Bilder zerbrochener Fenster? Ich lebe
auf einer Straße ohne Schilder
ohne Gehweg ohne schwanhalsige
Lampen zum Beleuchten der Häuser.
Mein einziger Heimfinder: eine flügellose Taube.
Er führt mich zum frischen Wasser
des BQE.1 Ich sage Harold wie hast du
deine Flügel verloren, aber er antwortet nicht.
Ich sage Harold der Abendhimmel dunkelt
die Häuser blicken fremd
die hohen Fenster sind lichtlos
und warum warten die schweigenden Panzer
am Ende der Straße.
Er antwortet nicht. Beinahe schluckt ihn
die Nacht vor mir, ein kleiner Schatten
auf dem Pflaster, der um Ecken
huscht, ein winziger Flecken Grau
der mit dem Asphalt verschmilzt.
Ich kann seiner Keilschrift kaum folgen
gegabelte Vogelspur, unlesbar im Staub
durch Toreingänge in Höfe ein Zimmer.
Es ist so dunkel, ich rühre mich nicht. Ich
spüre, etwas Sanftes streift mein Gesicht
etwas bewegt sich anmutig, in Mustern
Kreisen, eine Helix in der Luft
unsichtbar um mich. Harold
rufe ich sanft, Harold…
Er antwortet nicht. Er antwortet nie.

 

 

 

Zu diesem Buch 

Die vorliegende Auswahl versammelt Texte aus den beiden bisher in den USA erschienenen Gedichtbänden von Christian Hawkey. Das Gedicht „Lichtung“, die ersten zwei Kapitel und der Zyklus „Das Buch der Trichter“ sind seinem Debütband The Book of Funnels (Verse Press/Wave Books 2004) entnommen; die letzten beiden Kapitel und das Gedicht „Geburt einer Nation“ stammen aus Citizen Of (Wave Books 2007). Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung des Abdrucks und der Übersetzung sowie dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD für die Unterstützung der Publikation.
Der Großteil der Gedichte wurde von Steffen Popp und Uljana Wolf gemeinsam übertragen; folgende Texte sind Einzelübersetzungen: „Ordnung der Gegenstände“, „Ungeklärtes Gespräch“, „Stunde“ („Von Böen gezaustes Gesicht“) – Steffen Popp; „Stunde“ („Mein sechster Sensurround“), „Wink wenn deine Hände Luft sind lauter“, „Rapport des Untersekretärs für Untersuchungen“ – Uljana Wolf.
Christian Hawkey arbeitet oft mit Versatzstücken anderer Texte und Anspielungen auf Kunstwerke, die er bewusst nicht eigens ausweist. Für die deutsche Ausgabe möchten wir jedoch einige dieser Bezüge anmerken. „The Performing Understanding“ bezieht sich auf Werke der Performancekünstler Ana Mendieta und Vito Acconci. „Vom Blitz noch nicht“ verdankt seinen Titel einer Zeile von Emily Dickinson und spielt auch auf das Gedicht „Undressing Emily Dickinson“ von Billy Collins an. „Elke Allowing the Floor to Rise Up Over Her, Face-Up“ ist der Titel eines Videos von Bruce Nauman. Bei dem in „Obdachloser Klon“ erwähnten BQE handelt es sich um den Brooklyn-Queens-Expressway. Das Gedicht „Ungeklärtes Gespräch“ bezieht sich auf die Erdarbeiten für den Bau der New Yorker U-Bahn. 

Nachbemerkung der Übersetzer 

Christian Hawkey begegneten wir im Sommer 2006 während des Internationalen Poesiefestivals im slowenischen Medana, zu einem Zeitpunkt, als sein Debütband The Book of Funnels in den USA bereits beträchtliche Anerkennung erfahren hatte. Begeisterten uns zunächst die befremdlich-schönen Trichtergedichte aus seinem Zyklus „The Book of Funnels“ („Fräulein, könnten Sie“ gehört zu den ersten Übersetzungen), so nahmen uns später die rhizomartig ausgreifenden längeren Texte gefangen. Vor allem gefiel uns, wie Christian Hawkey Bilder auflöst, bevor sie sich im poetischen Raum etablieren – seine Freude daran, gängige Vorstellungen von lyrischer Perfektion und Endgültigkeit mit verschiedensten Mitteln zu unterlaufen. Eine Poetik, die sich mit ihrem Changieren zwischen Anarchie und Anmut einfachen Begriffen widersetzt, sich weder Language School, New Formalism noch Spoken Word zuordnen lässt, sondern verschiedene Stile aufnimmt und verbindet. So verwundert es nicht, dass der Autor Wallace Stevens, César Vallejo oder Emily Dickinson als wichtige Einflüsse anführt.
Schon in Medana war uns klar, dass wir Christian Hawkeys Gedichte übersetzen würden. Genauer, jedem von uns kam diese Idee etwa zur selben Zeit, und als wir uns später, zurück in Berlin, darüber austauschten, stellten wir überdies fest, dass noch ein weiterer Dichter auf diesen Gedanken gekommen war. Ron Winkler war bei den Recherchen zu einer von ihm herausgegebenen Anthologie zeitgenössischer amerikanischer Lyrik auf „unseren“ Autor gestoßen und hatte bereits einige Gedichte übersetzt. Als er von unseren Plänen erfuhr, zog er seine Versionen jedoch zugunsten unserer zurück. Über der Mitarbeit an diesem Projekt – das unter dem Titel SCHWERKRAFT neunzehn jüngere amerikanische Dichter in verschiedenen Übersetzungen vorstellt und 2007 im Verlag Jung & Jung erschienen ist – fanden wir zu einer gemeinsamen Arbeitsweise, die wir auch für die vorliegenden Übertragungen beibehielten. Nachdem wir eine Auswahl aus The Book of Funnels und dem im Frühjahr 2007 erschienenen zweiten Band Citizen Of getroffen hatten, übertrug jeder zunächst sämtliche Gedichte für sich, bevor wir in einem zweiten Schritt unsere Versionen nebeneinanderlegten und die Texte auf eine gemeinsame Fassung hin noch einmal grundlegend neu erarbeiteten. Dieses recht aufwendige Verfahren schien uns am besten geeignet, die unablässige Experimentierfreude dieser Texte gleichzeitig nachempfinden und kontrollieren zu können. Nicht immer war es leicht, beide Seiten zufriedenzustellen; die Unterschiedlichkeit unserer Wahrnehmungen hatte jedoch den Vorteil, dass sich durch das Original nicht gerechtfertigte Auslegungen großteils vermeiden ließen, da es im Grunde unmöglich war, eine Lesart ohne schlagende Argumente durchzusetzen. Der Umstand, dass wir uns in unserem eigenen Schreiben und der poetologischen Herangehensweise sehr voneinander unterscheiden, erwies sich wider Erwarten als eine gute Voraussetzung, die Vielzahl der Stimmen, die unser Autor in seinen Gedichten bündelt, auch als solche wiederzugeben. Im Sinne der Vielstimmigkeit haben wir uns außerdem entschlossen, jeweils drei Gedichte in Einzelübersetzungen hinzuzufügen. So weit der Bericht aus unserer Werkstatt. Die Frage, warum wir uns für Christian Hawkey und seine in diesem Band versammelten Gedichte entschieden haben, beantworten, denken wir, die Texte selbst. Wir möchten es dem Leser überlassen, diese Reisen in Ziegengeschwindigkeit auf eigene Faust zu unternehmen. Angemerkt sei immerhin, dass uns über die einzelnen Gedichte hinaus vor allem die sprachliche Vielfalt und Beweglichkeit Christian Hawkeys begeistern, ein Mut zum poetischen Abenteuer, wie wir ihn auch in der zeitgenössischen deutschsprachigen Lyrik lieben und gern häufiger lesen würden. Eine Lanze für das poetische Abenteuer zu brechen, ist eines der Momente, die uns mit diesem Buch am Herzen liegen – bei Christian Hawkey kann man es auf Schritt und Tritt erleben. 

Steffen Popp und Uljana Wolf, Nachwort

 

Ob in die Hirne von Miniaturschafen

oder in die Einsamkeit der Satelliten – Christian Hawkeys Gedichte entführen ihre Leser in Landschaften, die plastisch werden, indem sie das Offensichtliche auflösen: „Da / war ein Loch im Dach. / Da war kein Dach.“ Die so entstehenden Panoramen sind weniger surreal als hellsichtig: In ihren porösen, von Technologien durchzogenen Topografien begegnen wir „heimatlosen Klonen“, „Vögeln mit eingestickten Labeln“ und der Geburt von Nationen. Interieurs und Ichsituationen werden ins Spiel gebracht und bleiben doch dem Zugriff auf ,sich‘ stets voraus, immer auf dem Sprung – in die nächste Zeile, unterwegs in die nächste „aufblasbare Landschaft“. Tollkühn, beunruhigend komisch und mit skurriler Verve arbeitet Christian Hawkey an der „elastischen Haut von Oberflächen“. In ihren Falten entziehen sich Subjekte den Forderungen nach Identität oder Zugehörigkeit und bewahren eine Instabilität, die auch als ästhetische Antwort auf politische Zumutungen zu verstehen ist.

kookbooks, Klappentext, 2008

 

Auslotungen unkalkulierbarer Welten

– Überlegungen zu Gedichten von Christian Hawkey. –

Nichts bei Christian Hawkey ist vor Veränderung sicher, keine Einsicht unhintergehbar, keine Perspektive länger gültig als die Einstellung, die sie beschreibt. Gedanken sind keine fertigen Aussagen, sondern sprachliches Material, beständig im Werden – schon deshalb haben diese Gedichte trotz ihres Reichtums an und ihrer Fixierung auf Ideen aller Art wenig mit dem zu tun, was man gewöhnlich unter „Gedankenlyrik“ versteht. Das Terrain dieses Sprechens ist brüchig, das heißt beweglich und also lebendig, bewegend. Außerdem ist es auch logisch, verrückt und katastrophisch, und damit für den deutschen Leser besonders geeignet. Die Gedichte von Christian Hawkey wirken wie Fenster, durch die man dem poetischen Denken bei der Arbeit zuschauen kann, sind jedoch weitaus komplexer, eher mit Interfaces, Schnittstellen der bildenden Kunst vergleichbar. Und noch intrikater als diese, da das „Zuschauen“ im Fall des lesenden Zugriffs im Gegenteil einen Umsturz von Blicken, den Einfall poetischer Kräfte ins eigene Denken bedeutet. Der Idealfall einer gleichberechtigten Zusammenarbeit, bei der weder der Leser den Dichter konsumiert noch der Dichter den Leser „vergiftet“, stellt sich bei der Lektüre Christian Hawkeys ungewöhnlich häufig ein. Dennoch sollte man auf der Hut sein: Die Texte dieses Dichters sind aktive Substanzen, sie strukturieren den Blick wie optische Apparate, den Raum wie Karten, die Zeit wie Uhren – jedoch wie Apparate, Karten und Uhren, die anders messen, skalieren und „ticken“ als gewohnt. So wenig vorhersehbar und doch in sich folgerichtig wie Träume oder konkretes Erleben, bewegen sich diese Gedichte einerseits in der Logik der Sprache, andererseits immer auch in völlig davon verschiedenen „Logiken“ der Wahrnehmung und des Empfindens. In zeitgenössischen Metamorphosen gehen Dinge, Perspektiven, Medien und Diskurse beständig ineinander über, ohne sich um Kategorien zu bekümmern; die Dimensionen des Realen, des Imaginären und des Virtuellen existieren nicht isoliert, sondern durchdringen sich, bringen sich gegenseitig hervor. All dies kommt dem tatsächlichen Erleben nahe, jener perspektivischen Wirklichkeit, die den Wahrnehmenden ohne Rücksicht auf die Trägheit des Blicks, seine Sehnsucht nach Kontinuität und Wiederholung, in jedem Moment mit einer neuen, verwandelten Welt konfrontiert.
Im konkreten Erleben begegnet man weniger Problemen, die es zu lösen gälte, als Lösungen, deren Problemkontexte sich nicht mehr erschließen, denen man gleichgültig ist, die mehr oder weniger ungebeten in die eigene Wirklichkeit einfallen und eine Anwendung fordern, einen Sinn. In den Gedichten von Christian Hawkey wird der Leser oft auf vergleichbare Weise gefordert, sie glänzen mit überraschenden Verwicklungen, die sich jedoch nur auf den ersten Blick von denen des „wirklichen Lebens“ unterscheiden. Alle denkbaren Kontraste, könnte man sagen, Konflikte oder auch nur Differenzen leben vor einem pragmatischen Hintergrund ihrer möglichen Aufhebung, und auch die Gedichte leben vor diesem Hintergrund. Wie in einem magischen Kabinett öffnen sie schon mit dem ersten Vers Türen zu unkalkulierbaren Welten und sind dann vor allem damit beschäftigt, die sich aus dem ersten Vers ergebenden Verwicklungen zu bändigen, den Leser durch kunstvolle Konstruktionen, De- und Rekonstruktionen zu der weißen Seite zurückzuführen, mit der alles begann. Häufig entsteht die poetische Spannung aus dem Zusammenprall von Sprachzeichen und Sprachbedeutung, die bei Christian Hawkey gleichberechtigt interagieren. In ihrem nüchtern-berichtenden Gestus wirken seine Gedichte wie Artikel aus einem Handbuch für Kollisionen der Welt mit der Sprache, inklusive Beispielen und Hinweisen, wie man mit ihnen umgehen könnte. Das Spiel mit der Materialität der Sprache und der Virtualität der Bedeutungen ist allerdings nur ein Aspekt dieser Poetik und keineswegs Selbstzweck, es dient immer auch dazu, die Strukturen der sich aus ihm ergebenden Spannungen zu erforschen, neuartige Orientierungen in Bezug auf apriorische Größen des Erlebens wie Horizont, Landschaft, Stimmung, Authentizität und mediale Vermitteltheit zu entwickeln.
Die in diesem Heft abgedruckten Texte begegnen dem Leser als komprimierte Sonette, bezogen unter anderem auf Elizabeth Barren Brownings berühmte „Sonnets from the Portuguese“, mit denen sich der Autor und seine Übersetzerin Uljana Wolf bereits anderweitig beschäftigt haben – im Zusammenhang mit sogenannten „Erasures“, Löschungen bestimmter Partien in Originaltext und Originalübersetzung, die im Sinne von Palimpsesten zu neuen Gedichten oder Gedichtfragmenten führten. Inwieweit die viktorianische Dichterin in den „Sonetten mit elisabethanischen Maulwurf“ und in ihren deutschen Übertragungen umgeht, wird jeder Leser für sich entscheiden. Für weitere Erkundungen der poetischen Welt Christian Hawkeys sei, neben seinen in den USA erschienenen Werken The Book of Funnels und Citizen Of, das Buch Reisen in Ziegengeschwindigkeit empfohlen, eine von Uljana Wolf und dem Verfasser dieser Einführung besorgte Übertragung einer umfangreichen Textauswahl aus dem Gesamtwerk des Autors, die im Frühjahr 2008 zweisprachig im Verlag kookbooks erschienen ist. 

Steffen Popp, Sprache im technischen Zeitalter, Heft 188, Dezember 2008

„… but does ist matter, really / what we’re called?

Call me really. Really fine.“

Ich merkte nicht, wie die Vögel verstummten. Ich leuchtete in den Wald.
Die zerschmetterte Frontscheibe eines alten Trucks
grinste zurück, mich an
dahinter

ein Netz aus Zweigen, Wirbel, gesponnen von Licht
– wie es immer entwirft, was schon da ist
Form gibt oder verformt:
Muster

hervorbringt, Relief, Amputationen des Hintergrunds –
bis die Lichter flackerten, erloschen
und unser Pfad im Dunkeln lag.

Woraus besteht Dichtung? Zum einen natürlich aus Reim, Metrik und Harmonie, ganz klar und immer auch zum Teil aus Bildern; dann aus Gedankenanstößen und zuletzt aus, wie ich es jetzt mal nenne, Ideenkonzentrat. Um diese fast schon beliebigen Abstraktionen in den eigenen Gefühlskosmos einordnen zu können, muss man Gedichte lesen – um die Gefühle wiederum selbst ausdrücken zu können, muss man Gedichte verstehen. Aber wo endet das Lesen und wo beginnt das Verstehen, was nennt man vielleicht manchmal verstehen, dabei ist es nur Deuten, was hält man manchmal für Verstehen und dabei ist es nur Folgen? Ich denke, man hat ein Gedicht nur „verstanden“, wenn man es liebt. Einige Zeilen und ein, zwei Gedichte in diesem Band erfüllen für mich diese Bedingung, aber das Potential ist, denke ich, noch sehr viel größer für Leser, die des englischen mächtiger sind und allgemein eine größere Konzentrationsspanne haben.
Christian Hawkey, geb. 1961, ist ein Virtuose, ein moderner. Er scheint alle Spielweisen zu beherrschen und auch wenn die richtigen, die Gänsehaut und Memento mori Bilder erzeugenden Gedichte natürlich immer noch die Evergreen in der Lyrik sind und ihr ewiger Zenit, hat er doch auch abstraktes, intellektuelles, sachliches und fachliches drauf, er springt hin und her, auch manchmal in ein und demselben Gedicht, sein Repertoire ist groß und dürfte beinahe alle zufrieden stellen, die auch über die gereimten Verse hinaus Interesse an Lyrik haben. Und er ist gewiss auch nie ein gänzlicher Kunstpoet, nein, ein Gefühl für das Wunderbare, das noch nicht entdeckte, das noch nie in Worte gefasste, scheint sein Antrieb zu sein, zumindest immer wieder aufblitzend über die Seiten und Texte dieser Auswahl hinweg. Getroffen wurde diese aus den beiden Gedichtbänden, die Hawkey bereits in den USA veröffentlicht hat; John Ashbery lobte besonders das Buch der Trichter/Book of Funnels als das innovativste, was er in langer Zeit gelesen hätte.

Und obwohl wir täglich elf Wimpern
verlieren, bringt Blinzeln allein
uns nicht in den Himmel

Die moderne Poesie hat beim Leser einen schweren Stand. Was modern sei, könne nicht mehr schön sein, denken viele und wenden sich von Gemälden und Gedichten dieser Ausrichtung und Klassifizierung ab. Dabei hat gerade die moderne Dichtung durch ihren Drang zum „Mehr als Verwirklichbaren“, einige vollkommene Varianten der Wirklichkeitserlangung/-erreichung/-darstellung geschaffen und gemeistert; durch Umwege, gewiss, aber gerade diese vermeintlich abstrakten Umwege bergen, wenn sie Menschen reflexiv gelesen werden, die Möglichkeiten, die jedes Gedicht bietet: Die Chance, das Schöne zu sehen und die Möglichkeit, die Wahrheit zu glauben. Einziger Unterschied ist, dass die moderne Poesie mehr die Sprache und den Raum bemüht, als die klare Linie, wie es in den meisten Epochen davor der Fall war.
Man kann Reisen in Ziegengeschwindigkeit empfehlen, weil es verblüffende und geniale Zeilen enthält und auch weil es sich auf gewisse Weise wie ein lyrisches Abenteuerbuch liest. Man reist auf Versen durch das eigene Ich, dann mal hinaus, dann vielleicht durch Bilder, dann wieder durch das eigene Ich. Reisen ohne Ziele gibt es bekanntlich nicht. Aber immer führt nur ein einziger Weg zum Ziel – der Witz ist, dass uns dieser Weg niemals langweilig werden kann, weil niemand ihn vor uns ging. Es ist nämlich unser eigener.

die Art, wie der Wind das Elefantengras
auf die Seite legt oder eine Stimme durchs offene Fenster
zu uns trägt…

Timo, amazon.de, 9.4.2012

Trichter und Ziege

Mit einem „Blurb“, also einem knackigen Lob, von John Ashbery bedacht zu werden dürfte für einen jungen amerikanischen Autor nicht das schlechteste Empfehlungsschreiben sein. Der Pulitzerpreisträger bezeichnete Christian Hawkeys The Book of Funnels (wörtlich: Buch der Trichter) als „eines der sonderbarsten und schönsten Lyrikdebüts, das ich seit sehr langer Zeit gelesen habe“. Auf diesen poetischen Trichter ist nun auch der Kookbooks-Verlag gekommen, wo das Buch – in Auszügen, dafür ergänzt um weitere Texte aus Hawkeys zweitem Band Citizen Of von 2007 – in einer zweisprachigen Ausgabe des Titels Reisen in Ziegengeschwindigkeit erschienen ist. Der 1969 geborene Kunstkritiker Hawkey, der am Pratt-Institut in Brooklyn Literatur und Creative Writing lehrt und derzeit ein Jahr als DAAD-Stipendiat in Berlin verbringt, beweist sich in der Tat als talentierter Dichter, der seine Poeme virtuos mit grotesken Einfällen und ebenso originellen wie haftenden Metaphern schmückt. Parallelen zu Ashberys Werk lassen sich unschwer entdecken. So wie dieser sich einst von Parmigianino anregen ließ, zeigt sich Hawkey unter anderem von einem Video Bruce Naumans inspiriert, wobei die Beschreibung eines fremden künstlerischen Gegenstands bald zur poetischen Selbstreflexion wird:

Allein in einem Raum mit einer Kamera
heißt, du bist nicht allein, nur einsam.

Obwohl die Übersetzungen Hawkeys Balance zwischen hohem Ton und Umgangssprache nicht immer elegant zu halten vermögen, lassen die ungewöhnlich rhythmischen Gedichte Ashberys Urteil gerechtfertigt erscheinen.

axmü, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.6.2008

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Lutz Steinbrück: Mit Christian Hawkey in den Zauberwald
fixpoetry.de, 1.7.2009

 

Steffen Popp über Christian Hawkeys Gedicht „Langsamer Walzer durch eine aufblasbare Landschaft“

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Pennsound
shi 詩 yan 言 kou 口

 

Christian Hawkey liest  „the book of dip netting beaks…“ beim 41. Poetry International Festival Rotterdam 2010.

 

Fakten und Vermutungen zur Übersetzerin + DAS&D + KLGPIA
Porträtgalerie: Galerie Foto GezettDirk Skiba Autorenporträts +
Autorenarchiv Isolde OhlbaumAutorenarchiv Susanne Schleyer
shi 詩 yan 言 kou 口

 

Uljana Wolf liest drei bögen: böbrach und andere Gedichte.

 

Fakten und Vermutungen zum Herausgeber + DAS&D + KLG
Porträtgalerie: Autorenarchiv Isolde Ohlbaum + Keystone-SDA +
Galerie Foto Gezett 1 + 2 + Dirk Skiba Autorenporträts
shi 詩 yan 言 kou 口

 

Steffen Popp liest „Dickicht (mit Reden und Augen)“ im Berliner Mauerpark im Sommer 2011.

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