Achim von Arnims Gedicht „Der Kirschbaum“

ACHIM VON ARNIM

Der Kirschbaum

Der Kirschbaum blüht, ich sitze da im Stillen,
Die Blüte sinkt und mag die Lippen füllen,
Auch sinkt der Mond schon in der Erde Schoß
Und schien so munter, schien so rot und groß;
Die Sterne blinken zweifelhaft im Blauen
Und leidens nicht, sie weiter anzuschauen.

1810

 

Konnotation

Zeitgenössische Leser sahen in diesem Frühlingsgedicht Achim von Arnims (1781–1831) eine exemplarische Manifestation des romantischen Lebensgefühls: „Wir wissen nicht“, schrieb ein Rezensent, „wo der Zusammenklang des eben erwachten Blumenlebens der Kindheit mit der Natur zarter und rührender dargestellt wäre“.
Seinen ursprünglichen Ort hat das Gedicht in Arnims Erfolgsroman Armut. Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores (1810). Dort wird der Text einem schönen jungen Mann in den Mund gelegt – Hylas, in der antiken Mythologie ein attraktiver Bursche im Gefolge des Herakles. Bis heute unbemerkt blieben die skeptischen Töne, die dem romantischen Verschmelzungswunsch mit der Natur entgegenarbeiten. Das Leuchten bzw. „Blinken“ der Sterne wird ja als „zweifelhaft“ empfunden – die symbiotische Einheit von Subjekt und Natur wird in Frage gestellt.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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