Andreas Gryphius’ Gedicht „Es ist alles eitel“

ANDREAS GRYPHIUS

Es ist alles eitel

Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein,
Wo itzund Städte stehn, wird eine Wiese sein,
Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden.

Was itzund prächtig blüht, soll bald zutreten werden.
Was itzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch und Bein;
Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
Itzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.

Der hohen Taten Ruhm muss wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch, bestehn?
Ach, was ist alles dies, was wir vor köstlich achten,

Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind,
Als eine Wiesenblum, die man nicht wiederfind’t.
Noch will, was ewig ist, kein einig Mensch betrachten.

1636/37

 

Konnotation

Dieses berühmte Sonett der Barockzeit trägt in seiner ersten Fassung, die der damals kaum zwanzigjährige Andreas Gryphius (1616–1664) um 1636/37 anfertigte, einen lateinischen Titel: „Vanitas, Vanitatum, Et Omnia Vanitas“. Gleich dreimal wird im Titel der Urschrift das Thema des Textes aufgerufen: der leere Schein und die Eitelkeit aller Existenz. Das Bewusstsein von der irdischen Vergänglichkeit als einem Grundgesetz allen Daseins durchzieht dann auch die antithetisch angelegten Quartette und Terzette dieses Sonetts.
Dass nichts auf der Welt unvergänglich ist – dieser „Vanitas“-Gedanke wird in allen Existenz-Varianten durchgespielt. Die schöpferischen Leistungen des Menschen unterliegen ebenso der Vergänglichkeit wie die vorgefundenen Naturherrlichkeiten. Nur in Andeutungen, im Hinweis auf die Destruktivkraft des Menschen, blitzen die traumatischen Erfahrungen auf, die Gryphius an dieses Verfallsbewusstsein banden. Der Dichter hatte den Untergang seiner schlesischen Heimatstadt Glogau in den furchtbaren Verheerungen und Pestepidemien des Dreißigjährigen Krieges miterlebt.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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