Christian Morgensterns Gedicht „Der Flügelflagel“

CHRISTIAN MORGENSTERN

Der Flügelflagel

Der Flügelflagel gaustert
durchs Wiruwaruwolz,
die rote Fingur plaustert
und grausig gutzt der Golz.

nach 1905

 

Konnotation

Das seltsame Tier von der Gattung „Flügelflagel“ geistert schon eine ganze Weile als Musterexemplar hochkomischer Lautpoesie durch die Anthologien. Besser bekannt ist das Gedicht unter dem Titel „Gruselett“, unter dem es 1919 in Christian Morgensterns (1871–1914) Nachlass-Band Der Gingganz aufgenommen wurde. Aber hier wird ja weniger Grausen erzeugt als vielmehr eine ganz aus Sprachdynamik hervorgehende Heiterkeit. Bei Morgenstern geschieht eben vieles „um des Reimes willen “ – wie es in „Das ästhetische wiesel“ heißt.
Der virtuose Einsatz lautspielerischer Mittel, die Aufladung frei erfundener Wörter mit bestimmten Vokalfolgen führt indes nicht zum reinen Nonsens-Vers, sondern zitiert noch in der sinnfreien Wortkomposition eine Atmosphäre des Unheimlichen. Der „grausig gutzende Golz“ vermag zwar niemandem mehr Schrecken einzujagen, aber er kann seine Herkunft aus dämonischen Sphären andeuten.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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