Else Lasker-Schülers Gedicht „Mein blaues Klavier“

ELSE LASKER-SCHÜLER

Mein blaues Klavier

Ich habe zu Hause ein blaues Klavier
Und kenne doch keine Note.

Es steht im Dunkel der Kellertür,
Seitdem die Welt verrohte.

Es spielen Sternenhände vier
– Die Mondfrau sang im Boote –
Nun tanzen die Ratten im Geklirr.

Zerbrochen ist die Klaviatür…
Ich beweine die blaue Tote.

Ach liebe Engel öffnet mir
– Ich aß vom bitteren Brote –
Mir lebend schon die Himmelstür –
Auch wider dem Verbote.

1936

aus: Else Lasker-Schüler: Gedichte 1902–1943. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1996

 

Konnotation

Das „blaue Klavier“ war das berühmteste Zauber-Instrument aus dem Märchen-Arsenal der Dichterin Else Lasker-Schüler (1869–1945). Sie erfand es 1936, als der „schwarze Schwan Israels, eine Sappho, der die Welt entzwei gegangen ist“ – so hatte sie ihr Dichterfreund Peter Hille (1854–1904) genannt – bereits im Exil in der Schweiz lebte. Das Gedicht erschien in Buchform erst 1943 in Jerusalem, wo sich Lasker-Schüler ihr Exil-Refugium einrichten musste, nachdem ihr die Schweizer Behörden eine Rückkehr nach Zürich untersagt hatten.
In ihrem Zürcher Tagebuch vermerkte die Dichterin: „Ich besitze alle meine Spielsachen von früher, auch mein blaues Puppenklavier.“ Mit dem Sehnsuchts-Gegenstand aus der Kindheit kann man offenbar gleich drei Türen öffnen: die in den Keller, die in den Himmel und die in der Mitte, die gefährdete „Klaviatür“. Und trotz der Anrufung der Schutzengel liegt die Drohung der „verrohten Welt“ über diesem Kindheits-Traum. Die geöffnete Himmelstür – symbolisiert sie das offene Portal zu einem Ort, wo man vor Verfolgung sicher sein kann?

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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