Rose Ausländer: Gedichte

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Rose Ausländer: Gedichte

Ausländer-Gedichte

SO VIEL

Wer kann
so viel sagen
wie er will

Wer will so viel
wie er denkt

Wer denkt soviel
wie er lebt

Wer lebt so sicher
wie er stirbt

 

 

 

„Warum ich schreibe? Ich weiß nicht.“

Rose Ausländers Schreiben ist biografisch. Sie beschreibt ihr Leben, die Lebensstationen, die Liebe, das Leid, Hoffnungen, Erfahrungen, Enttäuschungen und Glücksmomente.
Hätte sie ein anderes Leben gelebt, also in anderen Umfeldern, mit anderen Menschen, anderen Erfahrungen, wäre ein anderes Werk entstanden.
Alle Dichter schöpfen in ihren Texten aus ihrem Erleben. Eine so enge Verknüpfung von Leben und Werk wie bei Rose Ausländer ist aber ungewöhnlich, selten, vielleicht einmalig.

Nähert man sich dem Werk der Dichterin, so erscheint es zunächst ob seiner Fülle und seines Umfanges unüberschaubar: 3.000 Gedichte; fast 2.400 sind publiziert und liegen unter anderem in der Werkausgabe des Fischer Taschenbuch Verlags vor.
Diese hohe Zahl ist Folge eines geradezu triebhaften Schreibens. Rose Ausländer selbst hat die Frage nach den Motiven ihres Schreibens auf den klaren Nenner gebracht:

Schreiben ist ein Trieb!

Diesem Trieb unterwarf sie sich, ließ sich nicht auf einen von vornherein vergeblichen Kampf dagegen ein. Sie notierte auch:

Schreiben war Leben. Überleben!

In den härtesten Jahren ihres Lebens gab ihr das Schreiben die Kraft zum Weiterleben – gegen Hoffnungslosigkeit, gegen Verzweiflung, gegen Fatalismus, auch gegen die eigene Vernunft, die den Sinn eines Weiterlebens in Frage stellte. Ihr Urvertrauen in die Sprache aber, die Gewissheit, alles sei sagbar, blieb unbesiegt.

Die Zahl von dreitausend geschriebenen Gedichten relativiert sich, wenn man bedenkt, daß diese das Ergebnis von siebzig Jahren Schreiben sind. Rein rechnerisch ergibt sich pro Jahr die Zahl von 43 Gedichten. Doch greift eine solche Betrachtung natürlich zu kurz. Rose Ausländer schrieb „in Schüben“; hoch kreative Phasen mit explosionsartigem Schreiben standen Jahre regelrechter Schreibhemmung gegenüber. Besonders kreativ waren die Jahre zwischen 1956 und 1963, zwischen 1971 und 1974 sowie zwischen 1982 bis 1986. Auch während der kreativen Phasen entstanden nicht auf Anhieb fertige Gedichte, vielmehr sammelte Rose Ausländer in solchen Zeiten die Ideen zu Gedichten, die förmlich aus ihr heraussprudelten. Hier entstanden Konvolute an Rohmaterial, die später intensiv bearbeitet und verdichtet wurden. Im Nachlass liegen Gedichte mit bis zu fünfundzwanzig Fassungen vor, manchmal ist ein Bearbeitungszeitraum von bis zu dreißig Jahren zwischen dem Erstnotat und der letztlich von der Autorin gebilligten Endfassung nachweisbar. Die Veröffentlichung eines Gedichtes bedeutete aber nicht, daß damit die Arbeit am Text aufhörte. Selbst von Druckfassung zu Druckfassung wurden manche Gedichte noch überarbeitet – gelegentlich sogar vom Erstdruck in einer Zeitung, über die Veröffentlichung in einer Anthologie, über den Abdruck in einem eigenen Gedichtband und bis hin zur Wiederveröffentlichung 1976 in den Gesammelten Gedichten. Als Rose Ausländer Ende 1980 gebeten wurde für ihren Band Mein Atem heißt jetzt eine Handschrift des Titelgedichtes zum Abdruck in diesem Buch zur Verfügung zu stellen, kam sie dieser Bitte nach, schrieb das Gedicht ab, änderte dabei aber einen Vers entscheidend. So stehen von diesem Gedicht zwei Fassungen – eine handschriftliche und eine gedruckte – in einem Buch.

Immer wieder taucht die Behauptung auf, Rose Ausländer habe naiv und intuitiv geschrieben. Diese Behauptung ist für die Mehrzahl ihrer Gedichte mit Sicherheit falsch. Selbstverständlich beherrscht sie ihr dichterisches Handwerk perfekt. Die Leichtigkeit, das Schwebende, die Musikalität, der gelungene Rhythmus vieler Texte täuschen naiv-intuitives Schreiben vor. Bei der Beschäftigung mit den fast 25.000 Seiten Manuskripten im Nachlass wird aber sehr schnell klar, daß Rose Ausländers Schreiben nicht nur perfektes Handwerk und Bauwerk, sondern eben auch perfektes Kopfwerk ist. Sieht man von gelegentlichen poetischen Beschreibungen ihres Schreibprozesses ab, die durchaus ein intuitives Vorgehen nahe legen, so finden sich in Selbstzeugnissen und Briefen diverse Hinweise darauf, wie durchdacht und reflektiert ihre Texte entstehen.

Auch der Umstand, daß sie bestimmte Themen immer wieder aufgreift, zeigt ihr durchdachtes Arbeiten. Beispielhaft sei hier nur auf den Komplex der Eva-Gedichte hingewiesen, in dem sie über einen Zeitraum von über fünfzig Jahren in mehr als vierzig Gedichten den Eva-Mythos neu erfasst und konsequent fortentwickelt.

Bei näherer Betrachtung des Werkes lassen sich in der Gedichtflut sechs große Kapitel bilden, die alle eng mit der Biografie der Lyrikerin verknüpft sind:

1. Die Gedichte über Bukowina, Heimat, Kindheit und Jugend und über das Verhältnis von Mutter und Tochter
2. die Gedichte über das Judentum
3. die Shoa-Gedichte
4. die Exil-Gedichte
5. die Gedichte über Sprache als dichterisches Ausdrucksmittel, als Handwerk und als Heimat
6. die Gedichte über die Liebe, über Altwerden und über den Tod.

Natürlich lassen sich auch andere Einteilungen und Zuordnungen finden, natürlich berücksichtigen die sechs Kapitel nicht die Gesamtheit der Gedichte. So gibt es zum Beispiel Gedichte über Bilder und bildende Künstler über Schriftsteller und Philosophen, Landschafts- und Naturgedichte, Stadtgedichte, die Gedichte mit dem Bekenntnis zum Menschen, zum Du. Und doch scheint mir, die Einteilung in die genannten sechs Kapitel zur Zeit die überzeugendste Klassifizierung zu sein. In diesem Band folgt die Auswahl deshalb den sechs Kapiteln; sie versucht, durch weitere Zwischenkapitel der inhaltlichen Fülle des Werkes gerecht zu werden. Bei allen Gedichten, die Rose Ausländer nach 1945 geschrieben hat, muß man davon ausgehen, daß das Erleben der Shoa diese Texte prägt, gleichgültig ob unmittelbar oder nicht.
Rose Ausländer lebte in der verzweifelten Hoffnung, das Schreiben noch möglich sei. Sie leitete ihre gesamte Identität aus ihrem Schreiben her:

Wer bin ich
wenn ich nicht schreibe?

Rose Ausländers dichterischer Weg war klar, geradeaus, ohne Umwege. Unbeeinflusst von literarischen Tendenzen, unbeirrt von modischen Bewegungen hat sie ihre Gedichte geschrieben. Über die Jahre wurden ihre Verse schmuckloser, Zusätze und Schnörkel entfielen, die Texte wurden reduziert, bis er offen lag, der kostbare Kern. Ihre Gedichte sind von verwegener Romantik, die einen spröde, voller Schrunden, Ecken, voller Trauer und Leid, die anderen melodisch offen, einfach und schön, voller Hoffnung, Trost, Liebe und Glück. Ihre Gedichte sind Strophen eines endlosen Liedes, voller ungetrübter Klarheit, bezaubernder Musikalität und bejahter Schwermut; ihr literarisches Geheimnis ist es, ganz ich zu sagen, mit der Liebe zum Du. Rose Ausländers Gedichte bestehen aus „Worten, stark wie der Atem der Erde“.

Helmut Braun, Editorische Notiz

 

Der Amsel unverfälschtes Vokabular

Eine Auswahl aus dem umfangreichen Werk der 1901 als Rosalie Scherzer in Czernowitz/Bukowina geborenen Dichterin. Nach Beschäftigung mit Philosophie und Gasthörerin in Literatur wandert sie 1920 in die USA aus, wo sie als Journalistin arbeitet und erste Gedichte veröffentlicht. Nach längerer Abwesenheit von den USA verliert sie ihre erworbene Staatsangehörigkeit und kehrt nach Europa zurück. Während sie in Czernowitz die kranke Mutter pflegt, marschieren 1940 die deutschen Truppen ein und nehmen sie wegen Spionagetätigkeit für die USA fest. Bis 1944, als die Sowjets einmarschieren, wird sie im Ghetto festgehalten, 1946 reist sie als Vertriebene nach New York aus. 1957 kehrt sie erstmalig nach Europa zurück, wo sie sich 1964 in Wien niederläßt, ein Jahr später in Düsseldorf. Nach langer Krankheit und weiteren Buchveröffentlichungen stirbt sie 1988.

Ein wenn auch kurzer Abriß ihres Lebenslaufs an dieser Stelle ist für das Verständnis des dichterischen Werkes hilfreich. Es läßt sich in sechs Themenbereiche aufteilen, die alle engen biographischen Bezug haben und in ihrer Verknüpfung von Leben und Werk einzigartig sind:

– Die Gedichte über Bukowina, Heimat, Kindheit und Jugend und über das Verhältnis von Mutter und Tochter
– die Gedichte über das Judentum
– die Shoa-Gedichte
– die Exil-Gedichte
– die Gedichte über Sprache als Ausdrucksmittel, als Handwerk und als Heimat
– die Gedichte über Liebe, über Altwerden und über den Tod

Die vorliegende, gut dokumentierte reiche Auswahl aus über 2.500 Gedichten überrascht mit oft wunderschöner Metaphorik, die mich an Else Lasker Schüler oder Paul Celan, mit dem sie liiert war, erinnern:

Venedig sehen
und leben
umVenedig wiederzusehen…

In Gedanken an HAP Grieshaber:

Im Herzen der Welt
schneidet er
die Welt
in unser Herz,

Wortspiele:

die erdrosselte Amsel.

In einem Gedicht mit dem Titel „Harlem“ spielt sie mit der Gedichtform Haiku:

Melancholischer
Mond
über
Slums.

Nach Kriegsende ist ihre dichterische Arbeit vom Holocaust geprägt. Bei vielen dieser Gedichte ist mir immer wieder der Satz von Adorno in den Sinn gekommen, wonach es barbarisch sei, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben. Auf einen Einwand von Hans Magnus Enzensberger lenkte Adorno später ein. Er meinte, Leiden habe soviel Recht auf Ausdruck wie der Gemarterte zu brüllen. Das meine ich auch, belegt doch die Dichterin Vers für Vers, daß es möglich ist. Aber gerade deshalb ist mir die Lektüre über einige Jahre hinweg, durch längere Pausen immer wieder unterbrochen, nicht leichtgefallen. Allzu schwer war dann das in Dichtung aufgelöste Grauen.

Tiny Hanspeter, amazon.de, 20.2.2018

Äußerst langweiliges Werk

Der Autorin selber gilt mein großer Respekt. Früh in die USA ausgewandert, aber später mehrfach, teils unter Lebensgefahr nach Europa zurückgekehrt, um die kranke Mutter zu pflegen und die rumänische Verfolgung nur knapp überlebt, das ist eine abenteuerliche Lebensgeschichte einer mutigen Frau.
Ich wollte, dieser Respekt ließe sich auch auf Ausländers Gedichte übertragen. Aber weit gefehlt: Allzu blutleer und Ideenlos kommen diese Gedichte daher, die Metaphern abgenutzt, die Sprache konventionell, wenig Ansätze zur Verdichtung und eine angesichts des Lebens der Autorin verblüffend emotionslose, um nicht zu sagen distanzierte Kühle, die man aber nicht als interessante stilistische Variante durchgehen lassen kann.
Hier ist kaum Überraschendes zu finden, wenige Ideen, von tieferer Reflektion oder gar Humor nicht zu sprechen. Diese Sammlung ist ein äußerst langweiliges Werk geworden, das zu den schwachen Beiträgen der deutschen Lyrikgeschichte zu rechnen ist. Ausländers Schaffen ist die Art von Lyrik, welche die bekannten Vorurteile gegenüber dieser literarischen Gattung zu bestätigen vermag.

Liberaler, amazon.de, 24.7.2014

Das Wundermittel „Sprache“

Vor fünf Jahren las ich die Gedichte von Rose Ausländer und seither stehen sie, inzwischen schon etwas abgegriffen, als ständiger Begleiter in meinem Regal. Der Ausdruck des Schmerzes, hervorgerufen durch die Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus wird so eindrucksvoll durch Sprache vermittelt und auch überwunden, dass am Ende kein schrecklicher Nachklang bleibt – trotz all der Greuel, die man nur erahnen kann – sondern nur die Bewunderung für die Art der Lebensbewältigung mit dieser zauberhaften Medizin „Sprache“.

Nicole Lederhofer, amazon.de, 5.10.2001

 

Mutterland Wort

Mein Vaterland ist tot
sie haben es begraben
im Feuer
Ich lebe
In meinem Mutterland
Wort.

Rose Ausländers wohl bekannteste Verse formulieren die Quintessenz ihres Schreibens, in der für ihr spätes Werk charakteristischen Sprache und Form: ohne Reim und Metrum, in knappen, scheinbar einfachen, doch sehr präzisen Wortbildern. Sie beschreiben die Grunderfahrung auch dieses Lebens: den Verlust der Heimat und den Rückzug in die Muttersprache als einzig verlässlichem Lebenselement. Bei Rose Ausländer erscheint das bekannte Flüchtlingssyndrom anhaltender Ruhe- und Heimatlosigkeit besonders stark ausgeprägt; auch nach dem Ende des Exils war sie ständig unterwegs, mit stets gepackten Koffern, zwischen Ländern und Kontinenten, in Pensionen und möblierten Zimmern bis hin zu ihrem letzten Refugium im jüdischen Altenheim, wo sie ihr Bett in den letzten zehn Lebensjahren nicht mehr verlassen haben soll. Als einziges Kontinuum dieser heimatlosen Existenz erwies sich die Czernowitzer Emigrantenenklave, gleich, ob sie in den Armenvierteln von New York, im Wien der Nachkriegszeit oder im Düsseldorf der Wirtschaftswunderjahre angesiedelt war. Nur hier fand Ausländer offenbar den ihr vertrauten Ton, im freundschaftlichen Kontakt – und vor allem im Klang der Muttersprache.
Rose Ausländer wurde 1901 (nicht 1907, wie sie später angab) als Rosalie Beatrice Scherzer in der Vielvölkerstadt Czernowitz, Hauptstadt der Bukowina, des Buchenlandes, geboren. Damals stand die Stadt, als Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie, auf dem Höhepunkt ihrer kulturellen Entwicklung. Sie war Sitz einer Universität und Mittelpunkt einer vielsprachigen, multikulturellen, stark jüdisch geprägten Gesellschaft. Rose wuchs in einer kaisertreuen, deutschsprachigen Beamtenfamilie jüdischer Herkunft auf. Sie studierte Literatur und Philosophie an der heimischen Universität. Hier entstanden die Kontakte zum Kreis des jüdisch-spinozistischen Philosophen Constantin Brunner, die sie ein Leben lang begleiteten.
Dieses wohlgeordnete, behütete Leben brach mit der russischen Besetzung der Stadt im Ersten Weltkrieg, vor der die Familie nach Budapest und Wien floh, und dem Ende der Donaumonarchie zusammen. Familie Scherzer kehrte ins jetzt rumänische Czernowitz zurück – und verarmte, als der Vater überraschend starb. 1921 ging Rose, eine dunkelhaarige Schönheit in der Blüte ihrer Jugend, mit ihrem Studienfreund und späteren Mann Ignaz Ausländer in die USA. Dort plante das junge Paar, ein neues, erfolgreiches Leben zu beginnen. Doch es kam anders. Rose Ausländer gelang es nicht, sich in den USA zu etablieren. Sie geriet in einen Zustand anhaltender Heimatlosigkeit und materieller Not, ein permanentes Hin und Her zwischen Czernowitz und New York. Diese rastlose Existenz dauerte vierzig Jahre, bis Ausländer Anfang der Sechzigerjahre endgültig nach Europa zurückkehrte. Und auch danach änderte sich dies kaum.
Begründet lag diese dauerhaft problematische Lebenssituation primär in der politischen Entwicklung. Die nördliche Bukowina wurde im Zweiten Weltkrieg von Russland annektiert, im Juli 1941 besetzten SS-Truppen Czernowitz. Die jüdische Bevölkerung, rund 60.000 Menschen, wurde in Gettos eingesperrt, zu Zwangsarbeit abgestellt und nach Transnistrien deportiert. Nur 5.000 Juden überlebten.
In einer schon prekären politischen Situation reiste die Schriftstellerin 1939 noch einmal überstürzt von New York nach Czernowitz, um die herzkranke Mutter zu pflegen. Die Tochter folgte damit den im Judentum noch stärker als in der christlich-patriarchalen Gesellschaft ausgeprägten Rollenmustern, in denen die Pflege der Eltern zu den Pflichten der weiblichen Nachkommen gehörte. Also begab sie sich freiwillig in akute Lebensgefahr, obwohl ihr jüngerer Bruder Max vor Ort in Czernowitz lebte. Gemeinsam gingen Mutter und Tochter ins Getto und 1943 in den Untergrund. Diese innere Abhängigkeit von der Mutter, die über deren Tod im Jahr 1947 hinaus anhielt, gehörte zu den persönlichen Belastungen, die Ausländers Schicksal zusätzlich zu den politischen Umständen prägten und bestimmten.
Dazu zählte auch die Verstrickung in schwierige Partnerbeziehungen. Die Ehe mit Ignaz Ausländer wurde 1930 geschieden; bereits drei Jahre vorher hatte sich das Paar getrennt. Auch die neue Partnerschaft mit dem Schriftsteller und Grafologen Helios Hecht, der großen Liebe ihres Lebens, deretwegen Ausländer 1931 in ihre Heimatstadt zurückgekehrt war, hatte keinen Bestand. 1935 trennte sie sich von ihm und zog nach Bukarest, bevor sie erneut in die USA flüchtete.
Über die Jahre im Getto und im Untergrund berichtet Ausländer in den wenigen autobiografischen Notizen, die sie hinterließ, nüchtern und distanziert:

In Czernowitz ansässig, hatte ich unter der Judenverfolgung, die im Sommer 1941 begonnen hat, sehr zu leiden. Ich war nicht nur den bekannten und menschenunwürdigen Beschränkungen unterworfen, sondern wurde auch zu überaus schweren Zwangsarbeiten herangezogen und im Getto von Czernowitz unter entsetzlichen und unhygienischen Bedingungen festgehalten. Die Zwangsarbeiten, die ich bei Straßen- und Verladearbeiten sowie bei verschiedenen anderen Arbeitsgelegenheiten leistete, waren sehr anstrengend, und die Behandlung war brutal und unmenschlich. Ich wurde oft und schwer misshandelt und mit dem Tode bedroht. Ich lebte in namenlosem Elend und in Angst vor meinem weiteren Schicksal und der immer wieder angedrohten Deportation nach Transnistrien.

Im Getto traf die Dichterin 1943 mit dem jungen Paul Antschel (Paul Celan) zusammen, der ihre Gedichte kannte und ihr seine eigenen vorlegte. Diese Begegnung förderte Ausländers literarische Entwicklung. 1957 traf die Schriftstellerin Celan in Paris wieder und lernte durch ihn die neue Sprache der deutschen Nachkriegsliteratur kennen.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wanderte Ausländer 1946 noch einmal in die USA aus, wurde dort aber nicht sesshaft. Bis 1961 lebte sie in New York und arbeitete als schlecht bezahlte Fremdsprachenkorrespondentin für die Speditionsfirma Freedman & Slater – in einem Dauerzustand extremer physischer und psychischer Belastung. Sie war und blieb arm und heimatlos, bezog nie eine eigene Wohnung. New York blieb ihr fremd, soziale Kontakte unterhielt sie nur in die Czernowitzer Emigrantenszene. 1961 konnte sie ihre Arbeit krankheitshalber aufgeben, 1964 kehrte sie nach Europa zurück. Ein Jahr später zog sie nach Düsseldorf, finanziell unterstützt durch eine Rente und die Entschädigungszahlungen für Verfolgte des Naziregimes. Doch auch jetzt gelang es ihr nicht, sich endgültig niederzulassen. Wieder lebte sie aus dem Koffer, reiste viel, wohnte in häufig wechselnden Untermietzimmern, bei Freunden, in Pensionen. Erst als sie 1972 schwer erkrankte, fand sie zumindest nach außen hin Ruhe: im Nelly Sachs-Haus, dem Altenheim der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf.
Ab 1978 war Rose Ausländer bettlägerig und blieb es bis zu ihrem Tod. Der totale Rückzug in die Krankheit, ein Weg, der durch die Mutter vorgezeichnet war, wurde von denen, die die Dichterin gut kannten, als Verweigerung verstanden.
Dass Ausländer – nach gescheiterten Versuchen, sich in Wien und Israel niederzulassen – ausgerechnet in Düsseldorf sesshaft wurde, hatte sehr persönliche Gründe. Hier gab es eine kleine Czernowitzer Gemeinde und damit wohl eine Art von ursprünglichem Heimatgefühl. Sie bemerkte dazu recht lakonisch:

Schließlich habe ich mich für Düsseldorf entschieden, weil ich hier einen größeren Bekanntenkreis habe, als in jeder anderen Stadt (…).

Im kulturellen Leben der BRD war Düsseldorf bis dahin nicht eben positiv aufgefallen, auch wenn es, als Geburtstadt Heinrich Heines, des größten jüdischen Dichters deutscher Sprache, dafür gute Voraussetzungen gehabt hätte. Doch Düsseldorf setzte diese durch eine Provinzposse aufs Spiel: den jahrzehntelangen Streit darum, ob die Universität künftig den Namen Heines tragen solle. Der Senat der Universität entschloss sich dazu erst 1988, in Rose Ausländers Todesjahr.

Rose Ausländers literarischer Weg
Ausländers literarische Anfänge liegen in der Zeit ihres ersten Amerikaaufenthalts, Anfang der Zwanzigerjahre. Damals hatte sie als Redakteurin professionell zu schreiben begonnen und in Zeitschriften auch ihre ersten Gedichte publiziert. 1939, während der vorübergehenden Rückkehr in die Heimat, erschien in Czernowitz ihr erster Gedichtband Der Regenbogen – mit großem Erfolg. Doch er ging in den politischen Wirren der sowjetischen und deutschen Besatzung unter. Heute gilt das Buch als verschollen. Auch in den Jahren der nationalsozialistischen Verfolgung schrieb Ausländer weiter, verstummte dann aber und begann erst in den USA langsam wieder zu schreiben – zunächst in einer ihr fremden Sprache: Englisch.
Als ihr literarischer Neubeginn gilt Der Mohn ist noch nicht rot von 1956; es ist eines ihrer ersten wieder auf Deutsch geschriebenen Gedichte. Dieser Neuanfang steht, folgt man den Aussagen des Texts, in engem Zusammenhang mit der späten Emanzipation von der Mutter, der Trauer um die eigene zerbrochene Existenz und deren Neudefinition aus der Sprache:

MUTTER SPRACHE

Ich habe mich
in mich verwandelt
von Augenblick zu Augenblick

in Stücke zersplittert
auf dem Wortweg

Mutter Sprache
setzt mich zusammen

Menschmosaik

Unterstützt wurde Ausländer bei diesem literarischen Neuanfang von der renommierten amerikanischen Lyrikerin Marianne Moore, die sie im Sommer 1956 kennenlernte. 1965 erschien ihr zweiter Gedichtband Blinder Sommer im Bergland Verlag Wien, wenn auch nur in der Kleinauflage von 500 Exemplaren. Er war kein Publikumserfolg, ebenso wenig wie die folgenden Gedichtbände. Dennoch markiert er die Anfänge von Ausländers Anerkennung als Lyrikerin. Den literarischen Durchbruch brachten die Gesammelten Gedichte von 1976. Die Dichterin wurde vielfach ausgezeichnet und mit Preisen geehrt. Mehr als zwanzig Gedichtbände erschienen, wenn auch mit allmählich nachlassender Sprachkraft.
An ihrem Lebensende, 1986, gab sie mit dem Entschluss, nichts Neues mehr zu schreiben, auch das Letzte auf, was sie ans Leben band. Sie zog sich noch weiter zurück, in den Kosmos ihrer unveröffentlichten Texte.

Edda Ziegler, aus Edda Ziegler: Verboten – verfemt – vertrieben. Schriftstellerinnen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Deutscher Taschenbuch Verlag, 2010

 

LORELEI
für Rose Ausländer

… ich weiß
was es bedeutet
gelockt zu werden
in den Herbstwald
über dem Rhein
die Pilze verführen
mit ihrem Erdduft
wurzeln in den
Waldfried meiner
Mutter die gerne
Rheinländerin geworden

Ich kenne das Lied
der Sehnsucht
nach Ferne
dem Geliebten
Übers Meer lockte
mich der Gesang
der Sirenen
lag ich in
Odysseus Armen
am Stamm des
Olivenbaums

Geblieben ist
der Gesang von
einem Leben
das keine Heimat
kannte kein
Halten kein
Vertrauen
in ein Lied
das zu viel
versprach Bleiben…

Jenny Schon

 

 

 

Fakten und Vermutungen zur Autorin + Porträt 1 & 2 +
Archiv + ÖM + KLGInternet Archive + Kalliope
Porträtgalerie: Brigitte Friedrich Autorenfotos + Keystone-SDA
shi 詩 yan 言 kou 口
Nachruf auf Rose Ausländer: die horen

Zum 10. Todestag der Autorin:

Harald Vogel: „Schreiben war Leben. Überleben“
Harald Vogel, Michael Gans und Kerstin Klepser: Werkstatt Lyrik Rose Ausländer, Verlag Ralf Liebe, 2017

Zum 100. Geburtstag der Autorin:

Harald Vogel: „Immer zurück zum Pruth“
Harald Vogel, Michael Gans und Kerstin Klepser: Werkstatt Lyrik Rose Ausländer, Verlag Ralf Liebe, 2017

Erika Schuster: „… von einem Strahl irdischer Gnade“
Die Furche, 9.5.2001

Angelika Overath: „Ich wohne nicht, ich lebe“
Neue Zürcher Zeitung, 11.5.2001

Zum 30. Todestag der Autorin:

Lothar Schröder: „Der Tod macht mich unsterblich“
RP.online, 3.1.2018

Katja Nau: Mach wieder Wasser aus mir
taz, 3.1.2018

Gisela Blau: Immer unterwegs
tachles, 2.1.2018

Stefan Seidel: Worte zum Leben
Der Sonntag, 3.1.2018

 

Fakten und Vermutungen zum Herausgeber + Kalliope

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