Straelener Manuskripte 1–10

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch Straelener Manuskripte 1–10

Straelener Manuskripte 1–10

AN DOKTOR Z.

Unseren fernen Planeten fixierend
mit deinem primitiven Teleskop,
erteilst du uns wohlwollende Ratschläge:
„Ihr treibt im Meer, rettet euch, schwimmt!“
Ohne zu begreifen,
daß das Meer, das du aus dieser Entfernung wahrnimmst,
eine gekräuselte Lavawüste ist,
über uns erstarrt wie über den alten
Toten des Vesuvs.
Und du beharrst: „ Warum rührt ihr euch nicht?
Nur wenige Züge, und ihr seid am Ufer!“
Würdest du einen Schmetterling
das Fliegen lehren, den
Jahrhunderte von Bernstein umschließen?

Margherita Guidacci
Übersetzt von Ragni Maria Gschwend

 

 

 

Jenseits der Grenzen,

die der Literaturbetrieb seinen Lesern vorschreibt, gibt es noch eine Vielfalt von poetischen Sprachen (und das heißt immer auch: von Erfahrungsweisen der Wirklichkeit) zu entschlüsseln.
Die Reihe STRAELENER MANUSKRIPTE war ein Projekt von Übersetzern. Als gute Kenner der unterschiedlichsten literarischen Szenen wollten sie Autoren vorstellen, die in ihren Ländern schon längst eine Zuhörerschaft besaßen. Aus den üblichen kommerziellen Gründen jedoch bestand geringe Aussicht, sie auch auf Deutsch zugänglich zu machen. (Einzig die GREGUERÍAS von Ramón Gómez de la Serna konnte man hier vor rund dreißig Jahren schon einmal in anderer Auswahl und Übersetzung lesen, aber sie gelten bei uns noch immer als Geheimtip.)
Mit Ausnahme dieses spanischen und des hebräischen Manuskripts – der israelische Dichter Dan Pagis starb 1985 – entstanden alle Übersetzungen in Zusammenarbeit mit den Autoren. Der Ort, an dem sich Dichter und Übersetzer trafen, war fast immer das Europäische Übersetzer-Kollegium in Straelen am Niederrhein, das erste internationale Arbeitszentrum für Literaturübersetzer.

Poetische Wirkung entsteht aus den spezifischen Materialeigenschaften der einzelnen Sprache. Wer Gedichte liest, weiß: hier kann schon ein Buchstabe, ein einzelner Laut eine besondere Rolle spielen. Zum Beispiel muß aus einer Sprache, die Großschreibung sonst nicht kennt, eine plötzlich auftauchende Majuskel am Wortanfang natürlich „übersetzt“, nämlich in unsere Sprache, die jedes Substantiv automatisch großschreibt, auf andere Weise als ein literarisches Zeichen adäquat ausgedrückt werden.
Gerade in der Poesie müßten also Originaltext, Übersetzung und Typographie zusammen gesehen werden. Um dies zu realisieren, entschieden wir uns damals für das große Format. Es erlaubt dem Leser, mehrere Gedichte auf einmal zu überschauen, zu vergleichen und sie im Hinblick auf ihre Ähnlichkeit oder ihren Kontrast zunächst einmal als Form wahrzunehmen.

Straelener Manuskripte Verlag, Vorwort, 2000

 

Von 1984 bis 1990 stellten literarische Übersetzer

in der Reihe Straelener Manuskripte neue Poesie des Auslands vor. Die zweisprachigen Hefte erschienen im ungewöhnlichen Zeitungsformat, aber schön gesetzt und gedruckt, und boten mit ihren verschiedenen nationalen Zeichensätzen auch ein typographisches Vergnügen. Inzwischen sind die meisten Ausgaben fast vergriffen, die meisten Autoren aber längst keine Unbekannten mehr. Diese verkleinerte Faksimile-Edition bündelt sie nun noch einmal für Sammler und Liebhaber bedeutende lyrische Stimmen aus zehn Ländern, aufs sorgfältigste übersetzt.

Straelener  Manuskripte Verlag, Klappentext, 2000

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