Uve Schmidt: Abendlanddämmerung

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Uve Schmidt: Abendlanddämmerung

Schmidt-Abendlanddämmerung

LEBENSHILFE

Niemand kann
sein Haus verrücken,
um der feuchten Leibwäsche
seiner Aftermieter mehr Sonne
zu verschaffen, hingegen könnten jene
ihr properes Unterzeug ins Bad hängen
oder das Problem einem Trockner anvertrauen.
Am einfachsten ist es, den Bauherrn zu hassen.

Niemand muß
um seinen guten Ruf fürchten,
solang man die Umgangsformen
beachtet, Kindern und Haustieren schmeichelt,
christliche Spendenlisten zeichnet und das Auto
freihält von Bekenntnissen, außer denen zum ADAC
und zur engeren Heimat in Form von Abziehbildchen.
Am besten ist es, Verständnis zu zeigen für Vorurteile.

Niemand sollte
Seinem Gefühl gehorchen,
wenn die Liebe durch den Magen geht,
wenn die Rechtslage unklar, das Wetter
wendisch, die soziale Gemengelage brisant
ist und die amtliche Anrede von Angehörigen
alter Religionen und farbiger Völker flukturiert.
Am sichersten ist es, sich dummzustellen.

Alle wollen
die Welt verbessern:
Von Grund auf oder nur den Balkan,
das weibliche Outfit oder die ganze Triebstruktur,
die Emissionswerte und das Menschenrecht für Affen,
den Blutdruck, den Schuhdruck, den Populationsdruck
und die Disproportionalität bei der Vergabe von Futter,
Freiheit und Frieden. Und jeder Arsch darf mitmachen.

 

 

 

Abendlanddämmerung klingt nach Titelschutzobjekt,

ist aber keines, sondern die Alte Welt im Spätlicht ihrer Zivilisationsgeschichte, wahrgenommen von der Warte eines Kulturpessimisten. In der Tat verhelfen auch optimale Observationstechniken nur zu Bildern, welche richtig gedeutet werden wollen, im Zweifelsfalle zugunsten der jeweiligen Feindbildvorlage. Allerdings bedarf es keiner Satellitenfotos, um die Mondsichel über Köln und Kreuzberg zu erkennen, das Kraushaar im europäischen Milchsee und den großen Graben zwischen Schlesien und Schwaben, Alt (Franz) und Jung (Claudia), Pontifex und Cybersex, zwischen Ideal und Kapital: Um die Eingeweide unserer hirnrissigen Gesellschaft auszuleuchten, langt die photopoetische Sonde des Uve Schmidt.
Schmidts neue Gedichte entstanden gleichsam als Jahrtausendkinder (1999-2001) und so sindse frühreif, heikel und überraschungsvoll wie Laborfrüchtchen der Epoca nuova nur sein können. Gegen den germanistischen Strich streben sie nicht, da die zuständigen Ordinarien und Medien derzeit noch klären, ob „Lyrik als Gesellschaftstheorie“ (Luhmann), also als „Nachahmung der Soziologie“ (Kaube) funktioniert oder „weg von der Revolution der poetischen Sprache, hin zu ihrer Renaissance“ (von Petersdorff / Bartmann) die Lösung sein solle. Uve Schmidt, der eingangs der 60er Jahre in diversen Anthologien von Rang als „Deutschlands jüngster Dichter“ festzustellen war, sieht sich heute vor einem speziellen Altersproblem: Wenn (nach Otto F. Best) die Lyrik als die wandlungs- und entwicklungsfähigste poetische Gattung gilt, wer oder was ist dann der Poet, falls er nach Sechzig noch den Beweis erbringt? Wandlungsfähig svw. chamäleonisch, entwicklungsfähig svw. instrumentalisierbar? Man bleibe am Mann; der Literat im Vorrentenalter ist per se ein Nörgler, bestenfalls ein Zynikus, aber unvermeidlich Unkenvater? Tatsächlich gab Schmidt schon als Kleinkind verblüffende Proben seiner analytischen und prophetischen Begabung, Oralhistörchen freilich, indes seine späteren Befunde und Prognosen als Literatur nachzulesen sind. Kein Gedicht von ihm ohne das Wasserzeichen der Skepsis, kein epischer Text mit gutem Ausgang, kein Hörspiel, das unseren Kriegsblinden gefallen hätte! Was immer Uve Schmidt thematisierte, erwies sich als punktgenauer Vorausblick auf schlimmere Verhältnisse und dümmere Verhängnisse; was Wunder, daß seine Beliebtheit sich am Rande der Bannmeile bewegt. Für Schmidt vermutlich der passende Platz, aber leider auch eine Gegend, die zu unpassenden Schlüssen und Defaming ermuntert. Ein Feind des Staates und der Erbswurst („gute Dinge“) ist er mitnichten, doch gewiss ein Gegner herrschender Kulturhäuser, gewaltloser Revolutionen, stiller Reformen und alkoholfreier Weihnachtsfeiern. Für die Freunde und Freundinnen gleicher Grundüberzeugungen und selben Geschmackes liest sich Abendlanddämmerung deshalb wie ein Poesiealbum dessen, was man/frau genauso sieht und so ähnlich gesagt haben wollte, im Idealfall mit den Worten von Uve Schmidt und den besten Empfehlungen des Hauses…

Uschi v. Emdt, Druckhaus Galrev, Programmheft, 2001

 

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Archiv + Kalliope
Nachruf auf Uve Schmidt: taz

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