Uve Schmidt: Hitler im Himmel

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Uve Schmidt: Hitler im Himmel

Schmidt-Hitler im Himmel

DAS LEBEN LEBEN IST EIN BLÖDSINN:

das Volk volkt nicht, der Himmel
himmelt nicht und die Erde erdet
lediglich das Dampfradio, aber das Thema
in-te-res-siert jeden Halbidioten.
Zum Beispiel die Existenzfrage:
Leben Penner und Pantoffeltierchen
sinngemäßer als Literaturproduzenten?
Lebt es sich wirklich ungeniert , wenn
der Meniskus ruiniert, oder steckt
der ganze Sinn in der Zirbeldrüse?
Drückt uns der Schuh oder drücken wir,
drück ich die gegerbte Seele (Größe 42)
auf ihrer Wanderschaft, womöglich querbett
zu mir, da eh alles sich im Kreise dreht?
Man kann sich in Demut verneigen,
aber die Schuhbänder erreicht nur,
wer sich bückt zum Grunde der Allmutter,
keineswegs in Ehrfurcht, sondern im Schweiße
des olympischen Übergewichts…
Seit sich sogar die Zeuginnen Jehovas weigern,
mir ein Hosenknöpfchen anzunähen (vor oder nach
der Exegese), werde ich meine löchrigen Socken
erschießen müssen wie gestrauchelte Rennpferde,
doch nehm ichs nit hin, daß Freund Hein sich
als Heino zwischen meine erkaltenden Stelzen schummelt:
Da mein Bett quer zur Türe steht,
muß ich weder mit dem Zopf, noch mit den Füßen voran
mein Stübchen verlassen: Und Tschüß!

 

 

 

Uve Schmidt, geboren 1939 in der Lutherstadt Wittenberg,

lebte ganz gern in der DDR, bis der 15jährige als ,Militärspion‘ enttarnt wurde und nach Westberlin fliehen mußte. Im Unterschied zu den meisten seiner „rübergemachten“ literaturproduzierenden Landsleute hat Schmidt über die Kindheits- und Jugendjahre in Ostdeutschland „aus guten, unguten und unerfindlichen Gründen“ kaum geschrieben, doch in all seinen Gedichtbüchern und Prosawerken hörte man die Wittenbergisch Nachtigall trapsen, mehr oder weniger virtuos.
Gleichsam ein lebendes Fossil des altdeutschen März, erscheint Schmidt als eine Art Quastenflosser, dessen Überdauern sich seiner Abneigung  gegen Aquarien verdankt. Gleichwohl nicht Fisch (sondern Skorpion),  aber Fleisch von unserm Fleisch, ein Literat, der (seit 1960) es mit der eigenen stillen Überzeugung hält, daß es „die Hauptaufgabe des Schriftstellers ist, zu leben“ (Marquez). Die Folgen sind nachlesbar oder auch nicht, denn der frühgerühmte Poet ist ein spätgereifter Prosaiker. Spätestens seit der Selbstauflösung der Sowjetunion und der Wiedereinführung des pflanzlichen Lampenöls in die Dichtung glaubt unser Autor nur noch an den Ärger als Quelle der Inspiration und an den Zweifel als Leitgeist.
Uve Schmidts Gedichte und Episteln sind so gut wie Episteln oder Gedichte, Jacke wie Hose in einer Zeit, da die einen im Mantel der Geschichte schwitzen, die andern im Blaumann bibbern und immer weniger Leute etwas am Hut haben mit Büchern. Dagegen empfehlen sich Schmidts Texte; sie eignen sich kaum zum Mitsingen, doch zum Mitdenken, eine bewußtseinsstärkende Kopfsportart. HITLER IM HIMMEL vermittelt seinen Lesern und Leserinnen, was sie immer schon ahnten, aber nicht auszudenken wagten: Daß unser privater Mikrokosmos sich um die selbe alte Achse dreht wie die grosse weite Welt.
Was könnte erregender und tröstlicher sein, dann zumal, wenn des Autors dreieckiges Auge deutlich zwinkert? Ernst ist es Schmidt allerdings mit den „deutschen Dingen“, mit der nationalen Rätselfrage, als wer oder was wir die neue Eiszeit bzw. den „Wärmetod“ (Konrad Lorenz) überstehen. Wer sich davor zu retten trachtet auf eine einsame Insel, sollte dieses Buch mitnehmen: Einmal über die Pfanne gehalten und die Seegurken sind gar!

Druckhaus Galrev, Programmheft, 1998

 

Das Ausheben der Latrine nach Vorschrift

– Zu Uve Schmidts Gedichtband Hitler im Himmel. –

Mehrere literarische Adelshäuser gibt es in Deutschland, eines davon ist unbedingt jenes der Anthologie Mammut, erschienen im März-Verlag des Jahres 1969. Uve Schmidt fühlte sich damals wohl in dieser Umgebung (u.a. R.D. Brinkmann, W.S. Burroughs, Jörg Schröder), und er tut es noch heute. Ob nun als pseudonymer Pornoschreiber, Romanautor oder, wie mit diesem Buch, als deutscher Lyriker. Denn: „Irgendwann landen alle Seelen westlich von Samoa“, irgendwann also, wenn wir durch sind mit den Eitelkeiten, der aufreibenden Suche nach dem Sinn und mit der Trauer darüber, daß wir als Kind niemals eine richtige Geburtstagsfeier ausrichten durften. Und haben, mit diesem Stein auf unsrer Brust, trotzdem das Herz am rechten Fleck. Uve Schmidts Helden und Gegenhelden und deren Gemahlinnen geben ein gutes Futter ab für locker gefügte, manchmal kalauernde, betont erzählende Verse. Story im Gedicht und gekonnte Formlosigkeit statt lyrisch imprägnierter Metapher – dieser Tonfall gehört in die Neunziger wie Effe in die Nationalmannschaft. Auch Schmidt schreibt ja Kultur- und Sozialgeschichte mit dem abgespreizten Finger, nur kommt die Rückkehr in den Humus, den Humbug der deutschen Seele hier nicht mehr in Frage. Sein Lieblingsthema, die Freie Deutsche Jugend mit ihren Emblemen und Gängeleien, hat der als Fünfzehnjähriger nach Westberlin Geflüchtete zum Glück auf wurmstichigen Fotos festgehalten und diesem Buch auch beigegeben: Uves alter FDJ-Ausweis (Kreisleitung Wittenberg!), Uve mit sportlichem Bürstenschnitt und Uve mit hochgestreckter Faust auf dem Panzerkreuzer „Aurora“.

Jörg Schieke, Junge Welt, 7.10.1998

 

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Archiv + Kalliope
Nachruf auf Uve Schmidt: taz

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