Wolfram Malte Fues: Vorbehaltfläche

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Wolfram Malte Fues: Vorbehaltfläche

Fues/Kolter-Vorbehaltfläche

ES, INSOFERN ES an Ende und Ende
doch ein Pronomen ist, hat
im Haus am Tal- und am Uferrand
den messianischen Zug im Zwiegespräch
zwischen dem Bach und den Regelsteinen
auseinandergesprengt und kreuz und quer
durch die gute Stube verlegt.
Schad’ um die künftigen Heilsgeschichten
aus dem Fahrtenbuch der Mechanik.

Talwärts
werden die Fenster geblendet
mit Schlüssel- und Eisblumenlicht.
Es, gibt der Bach zu verstehen
wird sein Schade nicht sein.
Nur ihrer.
Wolken- und Bergesspitze
wildern einander aus
allen möglichen Bahnen. Ich
flüstert der Gletscher sich zu
bin mir zu schade.

Das Paradies spuckt
seine Kerne weg. Die
gehen hin in alle Welt
und lehren sie, sie
habe den Schaden und brauche
für sich nicht zu sorgen. Eva
spielt mit der Schlange Verstehen, Adam
im Schweiß seines Angesichts, schmiedet
dem Engel sein Schwert. So
hält der Schaden am Bach und im Haus
Grenzen sprengende Grenzen.

 

 

 

Nachbemerkung

Das Unerwartete, taucht es im Wort selbst bereits auf, ja:
Vorbehaltfläche heißt es, und zwei Bedeutungen formen sich zu einem Gegenstand – aus Wort eins, Vorbehalt, und aus Wort zwei, Fläche. Aber welcher Gegenstand bildet sich heraus, ist gemeint, wenn einer überhaupt gemeint ist, um welchen handelt es sich – und was und wie lässt er handeln, was löst er aus in der Welt der Wesen, der Menschen wie der Dinge?
Es geht um einen Gegenstand, der nicht fassbar erscheint, der sozusagen nichts einlöst. Aber er erscheint: Ein Bild aus zwei Wörtern formt sich, schwebt daher, zischt wieder weg, das Abstrakte der Bedeutungen von Vorbehalt und Fläche ist als vorgestelltes, besser: als sich einstellendes Bild gerade noch im Auge des Verstandes zu halten. Aber fest machen lässt es sich kaum, es treibt weiter, virtuell dreht es sich fort und fort und kehrt wieder – immer noch Fläche, aber schon gewachsen oder geschrumpft, jedenfalls gibt sie sich als Tafel, auf der sich die Buchstaben sammeln, zeichnen lassen und wachsen zu Sinneinheiten – die dichterische sind, also die unerwarteten:

Geschäftsherrenschwestern, Reizseminar, Scheitsaiten, festflockend etc.

Aber: die zu erwartenden Wörter aus Wörtern, diese Sinneinheiten gibt es auch:

Frühstückstässchen, Fensterkreuz, flaumig etc.

Die an Umfang reichen Wörter kommen einerseits aus dem Erwarteten, was ihre Einzelbedeutung anbelangt, lagern im Vorhalt des gegebenen Wörterbuches, andererseits aber, lauern sie, friedlich, doch selbst bestimmt und bewusst angriffslustig im Hinterhalt als Wörter der dichterisch neu eingerichteten Enzyklopädie und der sie zeichenhaft verwirklichenden anderen Welt. Sie sind enthalten in der Vorbehaltfläche, fliehen diese und sind gleichzeitig diese selbst. Diese Gleichzeitigkeit von Darstellung und Dargestelltem ist Dichtung, der Moment der Dichtung, als solcher selten genug.
Wo finden wir Halt, im Vor oder im Danach, was behalten wir, nicht nur auf der Fläche, sondern auch in der Fläche, ist diese die unsere oder eine, die auf uns zutreibt, auf der wir etwas und uns gründen, die uns entzogen wird oder die sich unter unseren Auf-Tritten formt:
Ein im Raum treibendes Gebilde, es dreht sich im Dreidimensionalen, das kommt von der Technik der Wortverschmelzung her, die ist im Stadium der semantischen Entropie nie eindeutig zu fixieren, ihre Bedeutungen drehen sich und wenden das Blatt des Bewusstseins, das so ein freies werden könnte, in seiner Suche nach dem Sinn der auf es einstürmenden neuen Verhältnisse, wären da nicht – die Vorbehalte.
Woher kommt er nun, der Sinn – aus den Wörtern allein und aus ihrer Verbindung mit den anderen, so im Band:

Vorbehaltfläche von Wolfram Malte Fues.

Aber die Herkunft der Einzel-Wörter bei Fues ist weniger aufregend als die Richtung, in die sie zeigen, weil sich die als keine eindeutige erweist, sondern als eine der Vermutung. Das ist Zumutung auch, denn Fues’ Technik der Zusammenführung einzelner Wörter zum Superwort ist noch in den Feldern ihrer thematischen Ausrichtungen ablesbar, die gleichsam einen surrealen Wagemut verlangen, dessen Grenze zum klischierten Gleichmut gefährlich nah erscheint:
Hier – der Alltag und seine Kategorien, der sich bis hin zu den darin gehandelten und damit nicht handelnden Wörtern erstreckt oder sich in diesen konzentriert oder konzentriert scheint, abgehandelt, vorgegeben, abgehakt.
Dort – Feld zwei, das der Halluzination, der dichterischen Übersteigung oder Unterwanderung, Schreibweisen, die sich aus der Sichtweise speisen, die den Raum des Alltags in der Zeit der Poesie durchkämmt, zu durchkämmen versucht:

Zeitversuch I, Zeitversuch II.

Es ist ein Dilemma jener Dichtung, die den Alltag aus (!) dem Griff kriegen will, was Einsicht und Erkenntnis der Un-Verhältnisse voraussetzt, dass sie deren Klärung meist in Verklärung um-setzt und damit ihre Absicht ins Gegenteil verkehrt. Erkennt sie dies, hat sie es auch nicht leicht. Entweder wird sie traumhaft-visionär oder kurzbündig-real.
Beides ist Wolfram Malte Fues’ Sache nicht, weil er aus der Mitte von beiden Schreib- und Sichtweisen heraus eine dritte, nämlich die dichterisch imaginierte, erzeugt und nicht in einer der beiden mit kritisch erhobenem Zeigefinger verharren will.
Wer läuft innerworts, mit vorgeschriebener Geschwindigkeit, weder Auto noch Bahn, vielleicht die Linie, weil sie eine geschriebene und gezogene ist, vielleicht auch nicht. Dieser wortgespannte Tanz auf dem satzgelockerten Seil ist ihm mit Vorbehaltfläche gelungen – spiegelverkehrte Identitäten, einfach gesetzt:

An Dich I

Der Tag mit seinen Beiläufigkeiten und beherrschenden Nichtswürdigkeiten wird zum All:

An Dich II

Das All mit seinen metaphysischen Kodierungen und Zuschreibungen findet sich wieder in den Dingen und Verhaltensweisen des Üblichen, des Normalen:

An Dich III

Nichts bleibt in den Gedichten von Fues am Platz, aber die Verrückung ist in der Zeit ihrer Verwandlung auch eine der Ruhe und Ortung, die auch im Leser geschieht, sich ereignet.

Eine Art profane Passion, strahlender Schein der Poesie.

Ferdinand Schmatz, Nachwort, Januar 2007

 

Globalisierung der Warenströme,

Globalisierung der Finanzströme, Globalisierung der Kommunikationsströme? Das Bild reicht nicht hin. Vermittelte und vernetzte Mitteilung breitet sich nicht nur aus, sie überkreuzt, überlagert, überschichtet sich, schafft Strudelhöhlen und Wellenberge aus Bildern, Tönen, Texten, Stimmen, Zeichen, Figuren – media merging. Die Gedichte von Wolfram Malte Fues machen einen einschlägigen Vorbehalt, jedoch keine Vorhaltungen. Sie behalten sich eine Fläche vor, in der sie die Wasserstürze, Stromschnellen, Brandungen auffangen, um sie in verschiebenden und verführenden Sprach-Räumen aufzuheben – Vorbehaltfläche.

Passagen Verlag, Klappentext, 2007

 

Fakten und Vermutungen zum Autor
Porträtgalerie: Dirk Skibas Autorenporträts

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