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Das Wirkliche ist schon immer da; auch wenn es Nichts wäre. Als die Wirklichkeit enthüllt es sich erst und wird damit erkennbar, wenn das Tohuwabohu der Buchstaben sich zu Wörtern, Wortverbindungen, Sätzen fügt, in denen die Wirklichkeit als das Ereignis gewordene Wirkliche sich vergegenwärtigt. So hat im 16. Jahrhundert Moses Cordovero die Konkordanz zwischen, einerseits, den Buchstaben als den Elementen der Sprache und, anderseits, den Atomen als den Elementen der materiellen Welt postuliert.
Wirklichkeit wird also im Text keineswegs nur dargestellt, Wirklichkeit wird hergestellt im Akt der Benennung des Wirklichen. Wirklichkeit konstituiert sich als Name … als eine Vielzahl von Namen, unter denen das Wirkliche, gerufen, kommt und in Erscheinung tritt.
Ob der Kabbalist hier eine Erläuterung, eine Erweiterung des ersten Satzes des Schöpfungsberichts im Sinn hat… wer weiß; jedenfalls könnte seine Sprachauffassung Beispiel und Anlaß für die Begründung einer »realistischen« Universalpoetik sein, welche gleichermaßen der Wirklichkeit der Sprache und der Wirklichkeit der Welt zu entsprechen vermöchte.

 

aus: Felix Philipp Ingold: Freie Hand
Ein Vademecum durch kritische, poetische und private Wälder

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