DIE ENTSTEHUNG DES PRENZLAUER BERGS
AUS FEUCHTEM KEHRICHT
unterirdisch hingebreitet
vom steinfeld am rande der schorfheide mich
aaaaaerstreckend
bis hinab zu den blocksbergen der beeskower platte
aamarkausfüllend
aaaavon storkow bis storkow
aaaaaavon urstromtal zu urstromtal
boreale & arktische arten umwucherten mein haupt
& obwohl die ozeanischen influenzen der prignitz
abgeklungen waren, oder gerade deswegen, im begriffe
den fernsehturm mit walter ulbricht an der spitze
zu ficken, ich bin nicht frei davon, unnötig zu sagen
im gegenteil; ich rutschte raus, ich war total von ab
aalädierte die zionskirche leicht
aabärbel bohley blies & blies
aapolizisten buhten johlend
ornament & verbrechen waren voller übler vorahnung
vorsichtshalber zu haus geblieben & hexten was zusammen
der bass war die devise, die melodieführung in der irre
die entgrenzung sämtlicher sinne bekam neuen aufschwung
so manch persönliche verpflichtung bekam einen neuen sinn
unzuverlässig grassierten die elfen, ogis raguhn heulte auf
meine erektion beulte die erdkruste mit vollem bewußtsein
wo die ryke auf die belforter abzielt, unglücklich formuliert
lyrik schleppte sich hin, zu alledem stockte die ausarbeitung
& es war geschehen noch eh’ es recht vollbracht
aaso sehr sie sich auch mühten
aadie beule zu bleuen
aaes blieb dabei
von kirche von unten war damals noch nicht die rede, später ja
Bert Papenfuß
Das Disparate – mit einem Schuß Groteske: So könnte das poetische Credo Alfred Lichtensteins lauten, der dieser Sammlung von Berlin-Gedichten den Titel lieh. Es wäre zugleich eine treffende Charakteristik der Stadt selbst, was jedem einleuchtet, der sie flanierend durchstreift. In unverblümtem Nebeneinander vereint sind Pompöses und Ruiniertes, Urbanes und Provinzielles, Dürftigkeit und Opulenz. Die Stadtlandschaft zeigt Sprünge, Risse und Verwerfungen, die ihre Geschichte mehr als die jeder anderen Metropole durchziehen.
Es wundert kaum, daß Berlin keinen poetischen „Mythos“ ausbildete, wie er von London, Paris oder Rom her vertraut ist, denn rapide Existenzwechsel kennzeichnen die einstige preußische Metropole: Von der Residenzstadt 1871 gleichsam über Nacht zur „Reichshauptstadt“ erhoben, nach 1945 Vier-Sektoren-Stadt, dann „Land der Bundesrepublik“, gleichzeitig „Hauptstadt der DDR“, seit 1990 „Bundeshauptstadt“, gab es nie räumliche und kulturelle Grundstrukturen, die über längere Zeit konstant blieben. Als wirkte „in Berlin, über Berlin, unter Berlin eine verhängnisvolle Kraft, die alles immer wieder zu annullieren“ vermag, wie Wilhelm Hausenstein 1932 notierte.
Quo vadis, Berlin? ließe sich mit einigem Abstand zu der Zeit der Mauer fragen. Unsere Anthologie antwortet in 100 Gedichten, indem sie eine Auswahl aus der Geschichte der Berliner Großstadtlyrik mit dem konfrontiert, was seit 1989 poetisch erkundet und beschrieben wurde. Altvertraute, gern gelesene Texte finden sich ebenso wie gerade erst Veröffentlichtes oder zu Unrecht Vergessenes. Kein Nachschlagewerk also, auch kein Potpourri, sondern ein Spektrum von Gedichten, in dem die Farben und Elemente der Berliner Poesie aufleuchten.
In sieben Kapiteln kommen – mit- und gegeneinander – die verschiedenen Generationen und Richtungen zu Wort.
Die frühexpressionistische Stadtdichtung Georg Heyms mit ihren Katastrophismen neben Erheiterndem von Ringelnatz, Yvan Golls gesellschaftskritisches Pathos neben Benns lakonischen Nachtmusiken. Dokumentiert wird die poetische Stadtlandschaft auch in ihren topographischen Veränderungen. Vom Potsdamer Platz als dem verkehrsreichsten Europas, wie ihn Kästner und Boldt besangen, blieb 60 Jahre später nur eine Grünfläche, von „weltstädtischen Kaninchen“ behüpft (Sarah Kirsch). Für Celan war der Anhalter Bahnhof, den er am Morgen nach dem Pogrom vom 9. November 1938 durchfuhr, im Winter 1967 ein verkohlter „Trumm“ im Schnee. Fast schon verblassende Grenz-Erfahrungen memorieren Thomas Kling, Christoph Meckel und Wolfgang Hilbig.
Fragt man nach einem spezifischen „Berlin-Ton“, so wäre es jene Mischung aus Ruppigkeit und Warmherzigkeit, die Berliner „Herzschnauze“, wie man sie bei Tucholsky oder Günter Bruno Fuchs am deutlichsten vernimmt. Auch das Kesse und Provokante gehören dazu, eine scharfzüngige Zeitdiagnostik – in Texten von Walter Mehring bis Detlev Meyer; eine breite Toleranz für alles Abseitige, für Fremdartiges und Fremdes; und schließlich der frische Wind einer kühlen Ironie, wie er etwa Uwe Johnsons West-Berlin-Poem durchweht.
Berlin war von Anfang an das Zentrum der deutschen Großstadtlyrik. Hier verdichteten sich die geistigen und gesellschaftlichen Phänomene der Zeit früher als anderswo. Wenn heute etwas Neues entsteht, eine neue literarische Richtung, dann in dieser Stadt, die aus dem Diaspora-Dasein erwacht und sich noch immer verwundert die Augen reibt. Nur „langsam kommen die Uhren auf Touren“ (Durs Grünbein). Wenn die in den letzten Jahren entstandenen Gedichte Mauerfall, Wende und vereinter Stadt oft mit berlintypischer Skepsis begegnen, Aufbruchsstimmung sich nicht recht einstellen will, schimmert zuweilen doch ein Stück „Berlinazur“ (Aldona Gustas), und man nimmt irgendwie Teil an einem Umbruch, wie er für die Geschichte dieser Metropole bezeichnend ist. Die Ex- und Neuhauptstadt erwartet die Bundesregierung, die im letzten Gedicht der Sammlung bereits ingrimmig-keß begrüßt wird.
Es fällt sicher nicht leicht, diese Stadt zu lieben, oft ist die Liebe einem Härtetest unterworfen. Berlin besticht nicht durch verführerisches Wesen oder die Anmut seiner Erscheinung. Aber es hat Vitalität und originelle Substanz, die den Poeten beflügelt und noch aus der Ferne fasziniert wie ein schräges Arkadien:
In fremden Städten treib ich ohne Ruder.
Hohl sind die fremden Tage und wie Kreide.
Du, mein Berlin, du Opiumrausch, du Luder.
Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide.
Michael Speier, Nachwort
Michael Speier liest beim 11. Internationalem Poesiefestival von Medellín im Juni 2001.
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