Bildgedichte
Eine kleine kommentierte Anthologie
Teil 14 siehe hier …
In markantem Unterschied zu Figuren- und Szenenbildern finden Landschaften, Interieurs und Stillleben in der Gemäldedichtung kaum Beachtung. Das ist sicherlich darin begründet, dass unbewegte Bilder, wie man sie überall in der realen Umwelt wahrnehmen kann, nebst der Darstellung keine resümierbare und interpretierbare Aussage zu bieten haben – wesentlich ist hier die Darstellung selbst – ihre Bewerkstelligung, ihre «Kunst» – und eben dies macht solche Bilder für das Bildgedicht ungeeignet, ja, uninteressant.
Nur dort, wo das Malen über das Gemalte, die Darstellung über das Dargestellte eigenmächtig hinausgeht und sich auslebt, scheint das Bildgedicht einen valablen Ansatz zu finden. So schreibt Paul Celan «Unter ein Bild von Vincent van Gogh» (1956) den folgenden Vierzeiler:
Rabenüberschwärmte Weizenwoge
Welchen Himmels Blau? Des untern? Obern?
Später Pfeil, der von der Seele schnellte.
Stärkres Schwirren. Nähres Glühen. Beide Welten.
«Ein Bild» – damit ist hier van Goghs «Kornfeld mit Raben» (1890) gemeint, ein geradezu orgiastisches Malwerk aus grellen kontrastreichen Pinselhieben, eine Landschaft ohne Horizont, ein Querformat, bei dem Oben und Unten, Raben und Ähren schwerlich zu unterscheiden sind. Wenn Celan mit diesem Bild vor Augen von einer «Weizenwoge» spricht, evoziert er damit gleichzeitig auch eine Wasser-, eine Meereswoge, und gerade diese darstellerische Unbestimmtheit, dieses synästhetische «Schwirren» und «Glühen» (und nicht das vom realistischen Bildtitel behauptete «Kornfeld mit Raben») wird für ihn zum Anlass des Schreibens.
… Fortsetzung hier …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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