Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Poesie und Poetik des Namens (Teil 26)

Poesie und Poetik des Namens
Beispiele, Analysen, Kommentare

Teil 25 siehe hier

Bei Durs Grünbein findet sich (in «Strophen für übermorgen», 2007) ein Namensgedicht, das konsequent anagrammatisch kalkuliert ist und so auch durchgängig bewerkstelligt wird. Das Leitwort ist in diesem Fall der Autorname Petrarca, der in wechselnder Laut- und Schriftgestalt präsent gehalten wird. Das Gedicht liest sich – klingt – wie folgt:

PETRARCA

Sein Sarkophag in Arquà, eine Barke
Aus rotem Marmor, auf dem Bergkamm abgesetzt.
In diesem Adlernest hat er zuletzt gehaust. Hier starb er,
In seinem Reich, dem Reich der Sprache, Patriarch.

Frater Petrarca in der kargen Kluft, so karg
Wie keiner seiner Verse je: Aus solchem Felsgestein
Entsprang der Quell, sein steiler Sturzbach aus Canzonen.
Man sieht die Kammer noch, in der er sich verbarg.

Kein Katarakt wie dieser, und darunter, nackt
Seziert vor aller Welt: kein Herz wie seins. Da am Altar
In Arquà damals in Gedanken an die kalte Asche
Blieb auf der Zunge, salzig-süß, ein Nachgeschmack.

Die Dominanz der a-Laute, die gleichsam den Kammerton des Gedichts bestimmen, wie auch die zahlreichen assonantischen Klangverbindungen (im Text fett hervorgehoben) sind durch die Sprache selbst – durch das Leitwort, hier also den Eigennamen – vorgegeben, vom Autor so arrangiert, dass daraus eine durchgehende melodische Linie sich entwickeln kann. Autorschaft beziehungsweise Originalität wird dadurch sichtlich relativiert, der produktive Anteil der Sprache an der Dichtung deutlich vor Augen geführt.

… Fortsetzung hier

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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