Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Poesie und Poetik des Namens (Teil 9)

Poesie und Poetik des Namens
Beispiele, Analysen, Kommentare

Teil 8 siehe hier

Marina Zwetajewa war wie Rilke eine fulminante Korrespondentin und hat wie er auffallend viele Namensgedichte verfasst. Nicht allein die Bedeutungs- und Assoziationsvielfalt mancher Namen hat sie reichlich genutzt, sie hat stets auch auf deren Lautgestalt geachtet. In einem an den Dichterkollegen Aleksandr Blok (Block) gerichteten hochpoetischen Text thematisierte sie um 1916 dessen Namen wie folgt (in wörtlicher Übersetzung, ungereimt):

Dein Name – Vogel in der Hand,
Dein Name – Eiskorn auf der Zunge.
Eine einzige Lippenbewegung.
Dein Name – fünf Buchstaben.
Ball, im Flug gepackt,
Silbergeläut im Mund.

Steinwurf in den stillen Teich,
Ploppt so, wie du heisst.
[……………………………]
Dein Name – Kuss in den Schnee.
Ein Quellschluck, eisig, blau.
Mit deinem Namen schläft man tief.

Eine Vielzahl ihrer Dichtwerke hat Marina Zwetajewa namentlich an Verwandte und Bekannte gerichtet, an ihren Mann und ihre Kinder, an Freundinnen und Liebhaber, an literarische Wegbegleiter wie Balmont, Pasternak, Majakowskij oder Anna Achmatowa, aber auch an historische und mythologische Gestalten von unterschiedlichstem Profil – Aphrodite, Ariadne, Phaedra, Magdalena und Hagar; Puschkin, Byron und Chénier; Peter I., Nikolaus II.  oder Charles Lindbergh.
Von besonderem Interesse sind die Texte, mit und in denen die Zwetajewa ihren eigenen Namen – Marina – herausstellt. In zwei starken Gedichten (das eine 1916 im Weltkrieg entstanden, das andere 1921 im postrevolutionären Bürgerkrieg) tut sie es durch Anverwandlung der gleichnamigen Marina Mniszek, die zur Zeit der Grossen Wirren in Russland (um 1600) glanzvoll, wenn auch nur kurzfristig in Erscheinung trat. Mniszek, einer polnischen Adelsfamilie entstammend, war seit ihrem 18. Altersjahr nacheinander mit drei Usurpatoren verheiratet, die Anspruch auf den russischen Thron erhoben – alle wurden ermordet, ebenso ihr einziger Sohn, sie selbst starb, 26-jährig, nach abenteuerlichen Umtrieben in russischer Kerkerhaft.

… Fortsetzung hier

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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