Franz Hodjak: Flieder im Ohr

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Franz Hodjak: Flieder im Ohr

Hodjak-Flieder im Ohr

AUTOBIOGRAPHIE

genosse, was habe ich
anzuführen?

geboren wurde ich
bei verdunklung und ausgangsverbot

kurz darauf wurde das haus enteignet

daß ich die Expressionisten mag oder pralle brüste
ist sicher wesentlicher
als die vergangenheit
der verwandten

die schulen hab ich alle
nach vierundvierzig besucht

aufschlußreicher als alle mitgliedschaften
sind, glaube ich
meine bücher

engere kontakte unterhalte ich
zur aufklärung, zu meerlandschaften, zu den verlorenen illusionen

abends hör ich nachrichten
die politische lage interessiert mich tatsächlich

einen festen wohnsitz hab ich bloß
als empfänger von stromrechnungen, zeitungen
honoraren
vorladungen

woran ich glaube? an keine seligkeit
weder die aufrüstung noch der auferstehung

sehen Sie, der horizont ist diesig
wie Ihre vorstellung
von mir

 

 

 

Laudatio auf Franz Hodjak

Empfänger der Kester-Haeusler-Ehrengabe 2005

„Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar“ überschrieb Ingeborg Bachmann ihre Rede zur Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden. Die Wahrheit, die ich uns zumuten muss, mag den einen oder anderen überraschen. Die Jury wusste nicht, als sie den Schriftsteller Franz Hodjak für die Kester-Haeusler-Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung von 1859 vorschlug, daß er zu den führenden Personen einer staatsfeindlichen Gruppe gehörte. „Diese Gruppe“, so heißt es in einem streng vertraulichen Papier, „betreibe einen Elitekult“. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit läge vor allem auf kulturpolitischem Gebiet; sie wirke dabei insbesondere unter Studenten, in literarischen Zirkeln und in Zeitungsredaktionen. Subversiv, versteht sich.
Franz Hodjak, so lautet das erschreckende Resümee in diesem streng vertraulichen Papier, „förder(t)e die Veröffentlichung der Manuskripte dieser Gruppe“.
Literatur, die nicht kontrolliert und zensiert wird, ist, das wissen wir aus der Geschichte, das Gefährlichste überhaupt, sie ist der Funke, der einen Flächenbrand oder einen Umsturz herbeiführen kann.
Zur Entlastung der Jury muss betont werden, daß selbst Franz Hodjak erst im Frühjahr dieses Jahres von seinen staatsgefährdenden Tätigkeiten erfuhr.
Das Dossier stammt aus dem Ministerium für Staatssicherheit und ist auf den 15. Februar 1972 datiert. Franz Hodjak war zu dieser Zeit Lektor der deutschsprachigen Abteilung des Dacia Verlages in Klausenburg und betreute die jungen rumäniendeutschen Autoren. Zudem war er Mitherausgeber der Kultur- und Literaturzeitschrift Echinox, in der deutsche, rumänische und ungarische Texte veröffentlicht wurden. 1970 hatte er seinen eigenen ersten Gedichtband unter dem Titel Brachland veröffentlicht, es folgten bis zu seiner Ausreise 1992 eine größere Anzahl von Publikationen: Gedichtbände, Prosa, Kinderbücher, ein Drama und Übersetzungen.
In der DDR erschien 1988 ein von Wulf Kirsten herausgegebener Auswahlband seiner Gedichte, und bevor Hodjak 1992 aus der siebenbürgischen Universitätsstadt Klausenburg in das Taunus-Städtchen Usingen übersiedelte, kündigte er sich im Westen als Schriftsteller mit einem Gedichtband an, der 1990 im Suhrkamp Verlag unter dem Titel: Siebenbürgische Sprechübung herauskam.
Sein Leben in Rumänien, seine Zeit als Lektor, Herausgeber und Schriftsteller wurde nicht nur von der Securitate, sondern auch von der Stasi überwacht. In dem streng geheimen Dokument von 1972 stehen so abstruse Anschuldigungen, dass sie den Beschuldigten zur Ehre gereichen: Die Gruppe „verbreite literaturtheoretische Auffassungen aus der BRD, gehe von der ,Einheit der deutschen Nation‘ und der deutschen Literatur aus, setze die marxistische Literaturtheorie der DDR herab und versuche, Publikationen oder Vorträge über die DDR-Literatur zu hintertreiben“ und so weiter.
Wir zeichnen also einen Schriftsteller aus, der nicht an die Macht der Mächtigen, sondern an die Macht der Literatur glaubt. Immer noch. Die politische Macht, ob sie nun diktatorisch oder demokratisch ausgeübt wird, sucht keinen oder nur einen scheinbaren Dialog. Der Schriftsteller aber, so sagt Ingeborg Bachmann in ihrer oben erwähnten Rede, „ist mit seinem ganzen Wesen auf ein Du gerichtet, auf den Menschen, dem er seine Erfahrung vom Menschen zukommen lassen möchte…“
Wie soll er das tun, wie soll er den anderen erreichen, wenn zum Beispiel ein wahnsinniger Diktator nicht nur über die Menschen und die Literatur, sondern selbst über das Wetter herrschen will?
In jedem Fall braucht er viel Sinn für schwarzen Humor und ein Gespür für das Absurde. Und dann braucht er eine Sprache, die so genau gearbeitet ist, dass sie, wie Paul Celan es für das Gedicht formuliert hat, möglicherweise als Flaschenpost aufgegeben werden kann.

SPIELRÄUME

Die freiheit
die täglich uns spielraum
gewährt
ist immer so groß wie
der spielraum
den täglich
wir der freiheit
gewähren.

Dieses Gedicht ist in dem 1974 im Bukarester Kriterion Verlag erschienenen Gedichtband Spielräume enthalten. Dass Franz Hodjak es in dem 1993 im Suhrkamp Verlag publizierten Gedichtband Landverlust mit aufgenommen hat, muss einen Grund haben. Vielleicht, dass sich das Verhältnis zwischen Spielraum und Freiheit für ihn nicht oder kaum verändert hat. „Das Ankommen in der sogenannten Demokratie, erforderte ein Umdenken“, sagte Franz Hodjak in einem Gespräch mit Axel Helbig am 29.7.2002 in Dresden.

Ich bin nicht mit riesigen Erwartungen in den Westen gekommen. Es war aber die beste aller Möglichkeiten. Eine andere gab es wohl nicht. Dann musste ich viel nachdenken über Freiheit… Nachdenken über die Demokratie, die enorm viel Platz hat für diktatorische Anwandlungen. Und Diktaturen entstehen ja auch immer aus Demokratien. Wenn diese versagen, wenn die nicht stark genug sind. Das hat die Geschichte gezeigt.

Jemand, der in einer Diktatur gelebt und, wenn auch nur für kurze Zeit, dem freundlichen Gesicht des Diktators getraut hat, der könnte immun werden gegenüber den Verheißungen der sogenannten Freiheit. „Das Tragische war ja auch“, so Franz Hodjak in dem schon erwähnten Gespräch, „dass wir es nicht gemerkt haben, wenn wir in einer Illusion ersoffen sind. Wenn ein oppositionelles Buch erschienen ist, haben wir uns immer vorgemacht, dass das ein Sieg sei. Es war ja so. Verlogene Bücher gab es noch und noch. Deshalb glaubten wir, dass jedes Buch, das noch etwas Wahrheit in den Laden bringt, wichtig ist. Nur, indem wir all die Streichungen der Zensur akzeptiert haben, haben wir damit die Zensur bestätigt und mithin das System. Also waren die Siege, die wir damals gefeiert haben, heute, aus meiner Sicht, glatte Niederlagen. Wir hätten sagen müssen: Nein! Wir hatten gedacht, immer noch besser, ein Buch mit halben Wahrheiten als ein verlogenes Buch. Dann wurden es Viertel-Wahrheiten, da hat man sich auch noch gefreut. Dann wurden es Achtel-Wahrheiten und dann Sechzehntel-Wahrheiten, über die man sich gefreut hat. Und heute weiß ich: Die Wahrheit ist die einzig unteilbare Zahl. Damit spielt man nicht.“
Man spielt nicht mit dem Feuer, man spielt nicht mit der Wahrheit. Der Schriftsteller aber darf mit der Sprache spielen. Dreiunddreißig Jahre, bevor Franz Hodjak im siebenbürgischen Hermannstadt geboren wurde, kam 1911 in einem kleinen Dorf bei Hermannstadt, in Rasinari, ein Schriftsteller und Philosoph zur Welt, der die Sprache nutzte, um sich von der Welt abzuwenden. E.M. Cioran gilt als der Pessimist schlechthin, als Skeptiker und bissiger Zyniker. Was aber ist mit der Ironie, eigentlich unübersehbar, unüberlesbar in seinen Aphorismen, in seinen Essays, in seinen „Syllogismen der Bitterkeit“?

Die ,Wahrheiten‘ –, wir wollen ihr Gewicht nicht mehr ertragen, nicht länger mehr ihre Opfer oder Mitschuldigen sein. Ich träume von einer Welt, wo man für ein Komma sterben könnte.

In Franz Hodjaks Roman Der Sängerstreit, vor fünf Jahren im Suhrkamp Verlag erschienen, kommt ein siebenbürgischer Pferdedieb, der, wie übrigens viele von Hodjaks Figuren, auch Totenwäscher oder Totengräber ist, auf die Wartburg, um am Sängerstreit teilzunehmen. Der Sängerstreit hatte aber längst stattgefunden und der Pferdedieb namens Klingsor, der nicht mehr Pferdedieb sein wollte, sondern Sänger, also Künstler, lässt sich für eine Weile auf der Wartburg nieder, die von einem Despoten beherrscht wird, der seine Macht ausübt, weil sie ihm nun einmal als Burgherren zugefallen ist. In diesem grotesken Roman, der von Gefangenen, Leichen und Geschichten nur so wimmelt, geht es letzten Endes vielleicht nur um ein Komma. Es geht um das Recht, seine künstlerische Identität zu wahren.
„Also, Klingsor“, sagt der Burgherr Hermann I. zu dem aus Siebenbürgen stammenden Pferdedieb und Sänger, „wenn ich dich richtig begriffen habe, ist die Welt hier, auf der Burg, im Gleichgewicht, und das macht mir angst, jemand muss ja stärker sein, sonst herrscht Gleichheit, und wenn wir alle gleich sind, wie unterscheiden wir uns dann noch voneinander?“
Klingsor unterscheidet sich nicht zuletzt vom Burgherrn durch seinen Ekel vor der Welt. Der Ekel ist für ihn „das einzige Land, in dem es keine Gefangenen, keine Morde, keine Rache“ gibt. Er fühlt sich frei in seinem Ekel, „in dem alles anders ist und nichts verändert werden muss“.
Der weitgereiste Klingsor ist ein alter abgeklärter Mann, Bernd Burger aber oder Harald Frank reiben sich noch an den Unveränderbarkeiten, sie stolpern über die Grenzsteine und bleiben im Gestrüpp der Bürokratie hängen. Doch die wahre Irrfahrt, so Bernd Burger in dem Roman Ein Koffer voll Sand, beginnt erst mit der Ankunft. Man muss das Abfahren und Ankommen geübt haben, man muss die Tyrannerei auf der einen und auf der anderen Seite kennen, um ihr mit so viel Komik auf den Leib rücken zu können. Der Literaturwissenschaftler Peter Motzan, in besagtem Dokument des Ministeriums für Staatssicherheit übrigens als „das gefährlichste und aggressivste Mitglied der Gruppe“ bezeichnet, hat in einem Artikel im Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1945 (neu herausgegeben von Thomas Kraft) über Franz Hodjak geschrieben:

Befreit von Zensurzwängen, die ihn in Rumänien vor größeren Erzählformen zurückschrecken ließen, entwickelt Hodjak nun in drei fabulierfreudigen und ereignisprallen Romanen eine Ästhetik der Grenzüberschreitungen, die keinerlei Tabus berücksichtigen muss. In lockerem Umgang mit literarischen und historischen Prätexten inszeniert er das Chaos einer verkehrten Welt, treibt seine Akteure in Geschehnisse von abgründiger Tristesse und haarsträubender Komik, demontiert lustvoll vermeintlich stabile Wertgerüste und Sinnkonstruktionen, durchsetzt überlieferte Gattungsmuster mit parodistischen Zügen. Durchforstet und verknüpft werden dabei die Problemfelder Heimat und Fremde, Abschied und Aufbruch, Freiheit und Diktatur, Identität und Existenz.

Franz Hodjak hat im Suhrkamp Verlag drei Gedichtbände veröffentlicht und aus dem Band Ankunft Konjunktiv möchte ich zum Schluss eins zitieren:

WAS ICH GERADE BRAUCH

Einen Ort, nicht zu nah,
nicht zu weit.
aaEin Paar Schuhe, die halten
aaaagegen jene, die
die Freiheit verwalten.
aaEtwas Schnaps für die Ewigkeit.
aaaaEine Liebe, die dazugehört,
aaaaaaindem sie stört.
Einen Mond, der blöd vor sich hinstiert.
aaEin Gefühl, als wär ich
aaaain Rejkjavik, das
aaaaaamich neu gebiert.
Einen Schutzengel, der mich
aanicht belästigt.
aaaaDie Erinnerung: das Nichts
aaaaaahat meine Überzeugung gefestigt.
Ein Abendmahl, daß der Tisch

aasich biegt.
aaaaUnd eine Wahrheit, die mich
aaaaaazum Ort hinüberlügt.

Rejkjavik, 19.11.94

Rejkjavik ist weit weg. Stuttgart ist hier. Und die Schillerstiftung überreicht eine Ehrengabe und hofft, dass auch sie gerade gebraucht wird.

Hanne Kulessa, Deutsche Schillerstiftung von 1859: Ehrungen – Berichte – Dokumentationen, 2005

 

Alexandru Bulucz: Erleidenslyrik

„Der Raum hat mich geprägt“: Interview mit Franz Hodjak in Usingen

Eine Lesung  von Franz Hodjak aus unveröffentlichten Texten und ein Gespräch mit den Autoren Werner Söllner und Peter Motzan am 27.5.1992 im LCB.

 

 

Enikő Dácz spricht mit Franz Hodjak über Die Erfahrung der Bewegung

 

Zum 60. Geburtstag des Autors:

Peter Motzan: „Ich wohne in einem Türrahmen“
Ostragehege, Heft 35, 2004

Zum 70. Geburtstag des Autors:

Tom Schulz: Sehnsucht nach Feigenschnaps
Neue Zürcher Zeitung, 26.9.2014

Georg Aescht: Mühlen antreiben, doch welche? Franz Hodjak (70) weiß Letzteres nicht und tut Ersteres erst recht
Siebenbürgische Zeitung, 19.10.2014

Fakten und Vermutungen zum Autor + Instagram 1 & 2 +
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shi 詩 yan 言 kou 口

 

Franz Hodjaks Laudatio zum Siebenbürgisch-Sächsischer Kulturpreis 2013 in der St.-Pauls-Kirche Dinkelsbühl.

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