Danach
Winterantwort1
Ohne Jahre2
Danach3
Abgezählt4
Ilse Aichinger spricht über den Zweiten Weltkrieg und von der Nachkriegszeit
September 1939
1. September 19395
Ilse Aichinger erzählt vom Ende der Kindheit
Kleist, Moos, Fasane
Kleist, Moos, Fasane6
Danach
Winterantwort7
Ohne Jahre8
Danach9
Abgezählt10
Ilse Aichinger spricht über den Zweiten Weltkrieg und von der Nachkriegszeit
Wo ich wohne
Wo ich wohne11
Märzwunsch
Chinesischer Abschied12
Märzwunsch an den Garten13
Ilse Aichinger erzählt von ihrer Begegnung mit Günter Eich
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Nachruf14
Eine persönliche Erinnerung von Michael Krüger
Meine Sprache und ich
Meine Sprache und ich15
Neuer Bund16
Ilse Aichinger spricht über das Schreiben
Ein wildes kosmisches Reden
Einunddreißig17
Zeitlicher Rat18
Gonzagagassse19
Peter Handke spricht über die Dichtung von Ilse Aichinger
Abschiedslicht
Schlechte Wörter20
Die trüben Stunden nutzend21
Ilse Aichinger: Es liegt ein Abschiedlicht auf Allem
Die Lebensgcschichte der österreichischen Schriftstellerin Ilse Aichinger ist eine Geschichte der Trennungen. Die Tochter einer jüdischen Mutter und eines nicht jüdischen Vaters wurde am 1. November 1921 in Wien geboren. Einige Minuten nach ihr kam die Zwillingsschwester Helga zur Welt. Ihre Mutter, Berta Kremer, stammte aus einer weltoffenen Familie und war als einziges Familienmitglied früh zum Katholizismus konvertiert, weil ihr die jüdische Religion nicht zusagte. Sie hatte Medizin studiert und während des Ersten Weltkrieges als Lazarettärztin gearbeitet. Der Vater Ludwig Aichinger sammelte leidenschaftlich Bücher in einem Ausmaß, das die junge Familie an den Rand des finanziellen Ruins brachte. Die Aichingers lebten zunächst in Linz, wo Ludwig Aichinger als Lehrer arbeitete. Bald nach der Geburt der Zwillinge begann auch Berta Aichinger wieder in ihrem Beruf zu arbeiten.
Zur Betreuung der Kinder engagierte sie eine ihrer Patientinnen, die an Schizophrenie litt und kurz zuvor irrtümlich aus der Psychiatrie entlassen worden war. Als die Einkünfte nicht mehr ausreichten, um die durch Bücherkäufe verursachten Schulden zu begleichen, verlangte Berta Aichinger die Scheidung und zog mit den fünfjährigen Zwillingen zurück nach Wien. Zwar blieb eine Verbindung zu Ludwig Aichinger bis zu seinem Tod im Jahr 1957 bestehen, doch für die fünfjährigen Mädchen wird die Trennung vom Vater einen ersten Bruch in der Welt der Kindheit bedeutet haben. Während ihre Mutter in Wien als städtische Schulärztin arbeitete, wuchsen Ilse und Helga in der Obhut ihrer Großmutter auf und diese wurde für Ilse Aichinger die Person, zu der sie während ihrer Kindheit die innigste Verbindung hatte.
Mit Beginn der dreißiger Jahre erfuhren die Zwillinge Ausgrenzung und Stigmatisierung. „Das sind Juden“ sagte eine Verkäuferin aus dem Laden in ihrer Straße, in dem sie für die Großmutter Milch kaufen sollen. Hier begann das Ende der Kindheit, ein Abschied, der für Ilse Aichinger immer alle anderen Trennungen enthalten wird. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland im März 1938 verlor die Mutter ihre Position als Schulärztin und ihre Wohnung. Zusammen mit zwei jüngeren Geschwistern der Mutter lebten alle bei der Großmutter in der Hohlweggasse. Eine Schwester, Klara Kremer, hatte einige Zeit als Au-Pair-Mädchen in England verbracht und organisierte sich mithilfe der alten Verbindungen dort eine Anstellung als Haushaltshilfe, um emigrieren zu können. Von England aus bemühte sie sich, eine Anstellung für ihre Schwester Berta und die benötigten Bürgen für deren Töchter zu finden und es gelang ihr, zunächst eines der Mädchen unterzubringen. Die Familie beschloss, dass Helga fahren und Ilse bei der Mutter bleiben sollte, beide aber so schnell wie möglich nachkommen würden. Als 17-Jährige war Helga gerade noch jung genug, um für einen der Kindertransporte zugelassen zu werden, die Wien in alle möglichen Richtungen verließen. Sie fuhr im Juli 1939 nach England und wenige Monate später, im September, brach der Zweite Weltkrieg aus. Ilse und ihre Mutter konnten Wien nun nicht mehr verlassen und Helga war in England für unabsehbare Zeit von ihrer Familie abgeschnitten. Die Trennung der Zwillingsschwestern wurde zumindest räumlich nie wieder vollständig aufgehoben. Helga lebt heute noch in England und Ilse Aichinger seit vielen Jahren wieder in Wien.
Nach der Nationalsozialistischen Gesetzgebung galt Ilse Aichinger als „Mischling ersten Grades“ und da sie frühzeitig katholisch getauft wurde und als minderjähriges Kind bei der Mutter lebte, war diese aufgrund von „arischer Versippung“ vorübergehend vor der Deportation geschützt. Als die Großmutter ebenfalls ihre Wohnung verlor, wurden die Familienmitglieder verschiedenen Quartieren zugewiesen. Ilse und ihre Mutter, beide zum Arbeitsdienst zwangsverpflichtet, bekamen ein Zimmer in der Marc-Aurel-Strasse, direkt neben der Gestapo. Ludwig Aichinger versorgte beide mit Lebensmitteln und auch mit Büchern, sprach ihnen Mut zu und sagte, es könne nicht mehr lange dauern. Sie haben überlebt, doch die geliebte Großmutter wurde, gemeinsam mit den jüngeren Geschwistern von Berta Kremer, 1942 deportiert und ermordet.
In vielen Interviews, die Ilse Aichinger im Laufe ihres Lebens gegeben hat, kommt sie immer wieder darauf zurück, dass die Zeit nach dem Krieg das Schlimmste war, nicht die Angst und die Bedrohung während des Krieges. Als Ärztin erkannte Berta Kremer die Anzeichen einer Depression und riet ihrer Tochter, das Erlebte aufzuschreiben. Es sollte ein Bericht darüber werden, wie es wirklich war, doch entstanden ist ein Roman, der fernen Schwester in England gewidmet.
Die größere Hoffnung ist die Geschichte des Mädchens Ellen und ihrer Freunde, sämtlich Kinder mit falschen Großeltern, die in Wien den Zweiten Weltkrieg erleben. Das Buch erschien im Herbst 1948 und gilt neben Paul Celans Gedichtband Der Sand in den Urnen, der im selben Jahr erschien, als eines der ersten literarischen Zeugnisse des Holocaust aus Sicht der Opfer. Die größere Hoffnung begründete Ilse Aichingers Existenz als Schriftstellerin und sie fand ein neues Zuhause in dem literarischen Kreis um Hans Weigel, zu dem auch Ingeborg Bachmann gehörte. Diese war von der Sprache des Romans fasziniert und aufgerüttelt und zwischen den beiden jungen Frauen etablierte sich eine tiefe Freundschaft. Ein nach Kriegsende begonnenes Medizinstudium gab Ilse Aichinger im sechsten Semester auf, denn sie hatte ihren Beruf gefunden, wenngleich sie ihm immer sehr kritisch gegenüber stehen sollte.
1947, nach acht Jahren Trennung, konnten Ilse Aichinger und ihre Mutter endlich nach England reisen. Helga, ihre Tochter Ruth und Klara Kremer erwarteten sie am Bahnhof. Ruth war fünf Jahre alt, als sie ihre Großmutter und ihre Tante zum ersten Mal sah. Sie erinnert sich an eine tränenreiche und hochemotionale Begegnung an der Victoria Station, die noch heute ein besonderer Ort für sie sei. Berta und Ilse Aichinger blieben mehrere Monate in England, trafen Elias Canetti und Erich Fried, denn Helga hatte über das Austrian Center alle Schriftsteller und Künstler im Exil kennen gelernt und war mit einigen von ihnen gut befreundet.
Auf Einladung ihrer Freundin Inge Scholl, der älteren Schwester von Sophie und Hans Scholl, die in Ulm am Aufbau einer Volkshochschule arbeitete, reiste Ilse Aichinger 1950 zum ersten Mal nach Deutschland. Sie las an der Volkshochschule aus ihren Erzählungen und traf dort auf Hans Werner Richter, der die junge Autorin einlud, an der nächsten Tagung der Gruppe 47 teilzunehmen. Hier begegnete Ilse Aichinger ihrem späteren Mann Günter Eich. Im darauf folgenden Jahr nahm auch Ingeborg Bachmann zum ersten Mal an dem Treffen der Gruppe 47 teil, ebenso Paul Celan. Ilse Aichinger las die „Spiegelgeschichte“, an der sie eineinhalb Jahre gearbeitet hatte. Ausgangspunkt der Erzählung ist der Tod einer jungen Frau, die an den Folgen einer Abtreibung stirbt. Die Geschichte wird vom Ende her erzählt und auf das Ende hin, das hier mit der Geburt identisch ist. Entgegen ihrer eigenen Erwartung bekam sie den Preis der Gruppe 47 zugesprochen und gilt seither als eine der prominentesten Vertreterinnen der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur.
Ilse Aichinger und Günter Eich heirateten im Jahr 1953, ein Jahr später wurde der Sohn Clemens geboren und 1957 die Tochter Mirjam. Die Familie lebte zunächst im oberbayerischen Lenggries und später in Großgmain bei Salzburg, in einer alten Villa, umgeben von einem großen Park. Mirjam Eich beschreibt die Einrichtung des Hauses als ein Sammelsurium schwerer alter Möbel aus dem Bestand der Vermieter, zwischen denen die schlichten und modernen Möbel ihrer Eltern verloren wirkten. Es gab keine separaten Zimmer, sondern eine ineinander übergehende Raumflucht, in der keines der Familienmitglieder seine Privatsphäre hatte, zumal häufig Freunde der Eltern oder der Kinder zu Besuch kamen. Günter Eich, der Ruhe zum Schreiben brauchte, installierte seinen Schreibtisch zeitweilig im Bad, bis er im Ort ein eigenes Arbeitszimmer anmietete. Ilse Aichinger bevorzugte die von Trubel erfüllte Küche zum Schreiben, und liebte es, dabei laut die aktuellen Schlager zu hören, dieselbe Platte immer wieder, bis ein neues Lieblingslied das alte ablöste. Die Musik und das Familienleben in der Küche trugen dazu bei, dass sich der Zustand einstellte, den Ilse Aichinger im Gegensatz zu ihrem Mann bei der Arbeit brauchte; Ablenkung des Bewusstseins vom Vorgang des Schreibens.
Günter Eich und Ilse Aichinger gehören zu den prominentesten Vertretern der deutschen Nachkriegsliteratur. Ihre Hörspiele, Gedichte und Erzählungen waren in den 50er und 60er Jahren Schullektüre, beide Autoren wurden mit zahlreichen Ehrungen und Preisen für ihr Werk ausgezeichnet und waren häufig auf Lesereise. Zur Betreuung von Clemens und Mirjam Eich lebte in dieser Zeit eine junge Frau aus der Türkei bei der Familie. Ayten war eines Tages durch die wohlmeinende Vermittlung einer türkischen Übersetzerin zu ihnen geschickt worden. Die temperamentvolle junge Frau, die gern Whiskey trank und Zigarre rauchte, lebte viele Jahre bei den Eichs und war für die Kinder eine geliebte ältere Schwester. Als sie eines Tages ungewollt schwanger aus einem Urlaub in der Türkei zurückkehrte, war es für Ilse Aichinger selbstverständlich, dass auch Aytens Kind bei ihnen aufwachsen würde.
Am 20. Dezember 1972 starb Günter Eich nach längerer Krankheit in Salzburg. Ilse Aichingers Aufzeichnungen enthalten aus diesem Jahr nur einen einzigen Satz:
Die Gleichgültigkeit einüben.
Clemens Eich rebellierte gegen die Schule, brach sie mit 15 Jahren ab, und besuchte die Schauspielschule in Zürich. Nach der Ausbildung arbeitete er einige Jahre als Schauspieler in Wien, Hamburg und Frankfurt am Main und entschied sich dann auch für das Schreiben. Seine Gedichtbände und ein Roman sind, wie die Bücher seiner Mutter, im S. Fischer Verlag erschienen.
Bis zum Tod ihrer Mutter, die zuletzt bei ihr lebte, hat Ilse Aichinger in Großgmain gewohnt. Anschließend verbrachte sie einige Zeit in Frankfurt und kehrte 1988 nach Wien zurück. Dort starb Clemens Eich im Alter von 44 Jahren an den Folgen eines Unfalls.
Ilse Aichinger ging ins Kino, sah mehrere Filme am Tag, und suchte das Verschwinden in einer stringenten Form der Narration, der sie sich als Autorin immer verweigert hatte. Ihr erklärter Lieblingsfilm, den sie unzählige Male sah, ist Auf Wiedersehen Kinder von Louis Malle.
Es ist Richard Reichensperger zu verdanken, dass Ilse Aichinger wieder ins Leben und zum Schreiben zurück fand. Er war als Student nach Großgmain gekommen, weil er sich für ihr Werk interessierte, und hatte ihr Leben seither eng begleitet. Für die österreichische Tageszeitung Der Standard schrieb Reichensperger über Literatur, Theater und Philosophie und ermunterte Ilse Aichinger dazu, in einer regelmäßigen Kolumne die Filme, die sie sah, zu besprechen. Ilse Aichinger freute sich, im hohen Alter schließlich noch einen veritablen Beruf zu haben und mit ihrem Presseausweis an der Kinokasse bevorzugt behandelt zu werden.
Täglich besuchte sie ihr bevorzugtes Caféhaus, blieb für mehrere Stunden, und schrieb im Trubel, wie in der Küche in Großgmain, auf Notizblöcke, Speisekarten. Rückseiten von Briefumschlägen oder was sich sonst in ihrer Handtasche oder Umgebung fand. Die so entstandenen Kolumnen wurden später durch Richard Reichensperger zu den Bänden Film und Verhängnis und Unglaubwürdige Reisen zusammengefasst, die 2001 und 2005 im S. Fischer Verlag erschienen. Vor dem Erscheinen des zweiten Buches verstarb Richard Reichensperger, im gleichen Alter wie Clemens Eich, an den Folgen eines Sturzes.
Den genauen Blick für Menschen und Situationen hat sich Ilse Aichinger bewahrt. Ihre vereinzelten Sätze, sagt Mirjam Eich, zielen immer noch in den Kern des Geschehens.
Abgesehen von diesen behält sie sich jetzt das Recht vor zu schweigen. „Mein Liebstes“, schrieb sie zuletzt an ihre Zwillingsschwester, „in der Hoffnung, dass die Lichter in den Fenstern, in die wir als Kinder immer miteinander geschaut haben, uns doch nicht getäuscht haben – und mit dem verzweifelten Wunsch, dass sie Dir weiterleuchten.“
Booklet, speak low, 2011
Zum 90. Geburtstag Ilse Aichingers ist 2011 ein akustisches Portrait der Autorin bei Speak Low erschienen. Zu hören sind Interviews und Lesungen, dazu von der Schauspielerin Corinna Kirchhoff gelesene Texte. Eine „persönliche Erinnerung“ des Verlegers Michael Krüger und Gedanken des Autors Peter Handke runden das „Portrait“ ab. Das Booklet zeigt Fotografien aus Privatbesitz, der begleitende Text erzählt von ihrer Lebensgeschichte als einer „Geschichte der Trennungen“. Tatsächlich hatte der Abschied von ihr nahestehenden Menschen besonderes Gewicht in ihrem Leben. Als ersten der neun Abschnitte der Audio CD hören wir daher vom „Ende der Kindheit“ Ilse Aichingers, das den Abschied von der Großmutter brachte, die als Jüdin von den Nationalsozialisten deportiert wurde. Das letzte „Kapitel“ heißt „Abschiedslicht“, ein Zitat der Autorin („Es liegt ein Abschiedslicht auf Allem“).
Wenn Ilse Aichinger vom Ende der Kindheit, datiert mit dem 1. September 1939, erzählt, ist es vielleicht die Tiefe der Erinnerung an eine der dunkelsten Zeiten ihres Lebens, die ihr Weitersprechen zögern lässt. Die ersten vier Abschnitte des Hörbuchs gehören dieser Erinnerung an, wie sich der Nationalsozialismus in Wien breitmachte und welche Auswirkungen dieser auf ihre Familie hatte. Ihre Zwillingsschwester wurde nach England verschickt, die jüdische Mutter war zwar durch ihre halbarischen Kinder geschützt, aber die Großmutter wurde im Lager ermordet. Von wann genau das Interview stammt, ist leider unklar. Als Quellen für die Interviews wird der Bayerische Rundfunk (1981) genannt und der Österreichische Rundfunk ohne Jahreszahl. Man glaubt der Stimme anzuhören, dass Ilse Aichinger die Sechzig weit überschritten haben muss. Auf jeden Fall berührt die so unterschiedliche Ausstrahlung der Autorin über die Stimme, je nachdem wovon sie erzählt.
„Die Kräfte der Kindheit hielten die Welt zusammen und die Küche der Großmutter lag mitten darin“, so schreibt Ilse Aichinger in „Kleist, Moos, Fasane“. Das Rätsel, warum die Straße, in der die Wohnung der Großmutter lag, nach Kleist benannt wurde, löst sie mit der Erklärung:
vielleicht weil nichts darin an Kleist erinnerte.
Peter Handke spricht im Abschnitt „Ein wildes kosmisches Reden“ leidenschaftlich über die „Bilder“ Aichingers, die seiner Meinung nach „aus den tiefsten Träumen kommen und vielleicht aus dem tiefsten Wachsein“. Kennt man den dritten Bezirk, so weiß man im Innersten, wie wahr es ist, wenn Ilse Aichinger schreibt: „Die Hügel fielen nieder und die Steppe begann“, auch wenn nichts davon sichtbar ist. Nach Peter Handke entsteht die Spannung aus Andeutungen von Räumen, in die es kein Vertrauen gibt, und aus dem Sieg der Bilder über das „jüdische“ Bilderverbot. Wie in Zauberformeln, mit derselben Rücksichtslosigkeit und Suggestivität beschwört sie seiner Meinung nach die Wahrhaftigkeit. Ein Wort genügt und „die Seele dessen, der liest wird nicht nur gesund, sondern auch sehend“ – so Peter Handke im Bayerischen Rundfunk 1991.
Während die ersten Abschnitte also vor allem von leidvollen Erinnerungen bestimmt sind, erzählt Ilse Aichinger im Weiteren von ihrer ersten Begegnung mit „diesem Günter Eich“. Es ist tief berührend, wie die Stimme, die davor mit dem Sprechen haderte, frei wird und plötzlich ein Lachen aufleuchtet, das zu Herzen geht. Das gemeinsame Leben und Schreiben mit ihrem Ehemann Günter Eich, die gemeinsame Suche nach der Sprache machten das Glück für sie aus:
Ich war mir immer bewusst, wie viel Glück ich gehabt habe.
Die privaten Fotografien im Begleitheft schaffen neben dem literarischen Portrait der Schriftstellerin ein sehr persönliches Bild.
Persönlich ist auch die Erinnerung des Verlegers Michael Krüger, der von ihrer „verhuschten“ Erscheinung spricht, und von ihrem komplizierten Interesse an Menschen, von einer „direkten Barmherzigkeit“, die er in einer Anekdote aus der Zeit Ilse Aichingers im Salzburger Land zum Besten gibt. Auch Peter Handke nimmt bei ihr etwas Witziges oder besser „Kalauerndes“ wahr und es trifft sich ausgezeichnet, dass die Schauspielerin Corinna Kirchhoff manchmal genau diesen Ton hervorzaubert.
Im zentralen Abschnitt „Meine Sprache und ich“ kommt die Schriftstellerin noch einmal auf ihr Schreiben, das mitunter als schwierig und sogar hermetisch gilt, zurück. Es ist die Rede von der „Suche nach der Wirklichkeit, was ich im Schreiben versuche“ und dass das Bewusstsein ermüdet werden muss, um die Kontrolle auszuschalten „damit das Schreiben allein sein kann“ und dass „ein Hauptteil der Arbeit… das Nicht-Schreiben“ ist. Mit dieser „Erklärung“ erschließt sich der darauf folgende Text „Schlechte Wörter“ wie von selbst, denn wie Ilse Aichinger sagt:
Worte sind nicht etwas, was man behält, sondern was man hergibt.
Meine Sprache und ich
Heinz F. Schafroth: Im Text „Meine Sprache und ich“ ist eine völlige Trennung von Ich und Sprache dargestellt. Sind Sprache und Autor wirklich etwas so Getrenntes, ist Sprache derart außerhalb des Autors? („Wir haben uns nichts zu sagen“, heißt es.)
Ilse Aichinger: In dieser Geschichte ereignet es sich. Man erlebt nicht alle Geschichten, nachdem man sie geschrieben hat, aber vorstellbar wäre es auch hier.
Schafroth: Im selben Text erscheint das Ich als der „werbende Teil“. Ist Sprache etwas, das sich dem Schriftsteller derart entzieht? So daß man fast von Feindseligkeit reden möchte?
Aichinger: Daß sich die Sprache entzieht, daß sie Widerstände entgegensetzt, halte ich fast für eine Begründung des Metiers.
„Eine kleine Sprache, sie reicht nicht weit. Rund um, rund um mich herum, immer rundum.“
Schafroth: Ist Sprache für Sie etwas völlig Privates? Wie ist denn ihre (der Sprache) Beziehung zur Umwelt? Gibt es da etwas wie Engagement, engagierte Literatur?
Aichinger: Der Begriff privat im Bezug auf die schriftstellerische Arbeit entzieht sich mir, vor allem privat und engagiert als Gegensätze. In der Rede eines amerikanischen Präsidenten hörte ich wiederholt die Formulierung „my country“, ich verstand sie nicht. Ebensowenig verstehe ich „privat“ im Bezug auf meine Arbeit.
In der Ausgabe des Jahres 1907 von Meyers Lexikon steht Privat hinter Pritzwalk und Privas, Städten bei Potsdam und Lyon, Städten mit Herrenhäusern, Bismarcktürmen, Gewerbekammern. Diese Vorreiter des Privaten waren schon aufschlußreich. Unter „Privat“ fand ich auch Aufschluß. „Den einzelnen betreffend“, stand dort unter anderem. Gut. Wenn ich von dieser Definition ausgehe, kann ich sagen: Sprache ist privat, sie betrifft den Einzelnen, jeden Einzelnen. Sie ist so privat wie sie engagiert ist.
Um Sprache als Engagement zu verstehen, brauche ich das Lexikon nicht. Sie ist, wenn sie da ist, das Engagement selbst, sie muß es nicht beschreiben. Sie kann sich engagieren oder nicht, ob sie wirklich engagiert ist, entscheidet sie durch sich selbst, durch ihre Existenz oder Nicht-Existenz. Sie muß deshalb in sich schon Engagement sein, weil die benützte Sprache immer etabliert ist, weil sie vergeht, indem sie sich ereignet. Weil ein Autor den Wunsch „Hier laßt uns Hütten bauen“ immer kontern muß, weil er fort muß aus der Sprache in die Sprache, aus dem Rezept der Wahrheit in die Wahrheit.
Schafroth: Am Schluß des Textes „Meine Sprache und ich“ heißt es: „Ich werde hier und dort einen Satz einflechten, der sie unverdächtig macht.“ Was ist das in Ihrer schriftstellerischen Wirklichkeit: eine verdächtige Sprache oder eine unverdächtige? Wem verdächtig oder unverdächtig? Wie verhalten sich „Satz“ und „Sprache“ in diesem Zitat zueinander?
Aichinger: Sprache ist immer verdächtig, weil sie im Aufbruch ist, weil sie in Frage stellt. „Es geht mir gut“, ein wie wunderbarer Satz muß das einmal gewesen sein, als auch er aus Auflehnung entstand. Eingesetzt, legitimiert, benützt, abgenützt, wie leer und schwach kann der Satz werden, eine Chiffre, die man sich über zu weite Entfernung zuruft, dem der genau hinhört, kaum mehr hörbar. Der Wagen des Elias über diesem Satz ist verschwunden, nur graue Hügel und Hütten sind geblieben, Irrtümer.
Schafroth: Ist Ihnen vom Text „Meine Sprache und ich“ her eine Definition dessen möglich, was schreiben heißt?
Aichinger: Vom Text her weniger, eher von der Erfahrung des Schreibens her. Es bedeutet für mich den Versuch, zu schweigen, vielleicht schreibe ich deshalb, weil ich keine bessere Möglichkeit zu schweigen sehe.
(1971)
Teil eines stärkeren Widerstandes
Heinz F. Schafroth: Frau Aichinger, Sie haben in Dortmund den Nelly-Sachs-Preis erhalten. Nun hat man Ihnen schon manchen wichtigen Literaturpreis zugesprochen, so bereits 1952 den Preis der Gruppe 47, später dann unter anderem den Bremer Literaturpreis. Habe ich recht, wenn ich vermute, daß dieser Preis Ihnen besonders lieb ist, weil Nelly Sachs ihm den Namen gegeben hat und erste Preisträgerin war?
Ilse Aichinger: Ja, allein mit einer Freude konfrontiert zu werden, das müßte vielleicht gerade heute die Frage noch stärker aufwerfen nach den Erfolglosen, den Ausweglosen, um die sich vielleicht die Finsternis gerade in dem Augenblick schließt, in dem man Freude empfängt. Aber im Namen von Nelly Sachs mit einer Freude konfrontiert zu werden, das könnte heißen, mit einer Angst konfrontiert zu werden, die sich durchsteht, und mit einer Trauer, die allem offen bleibt.
Schafroth: In den Jahren 1947/48 wurde Ihr erstes Buch geschrieben, der Roman Die größere Hoffnung. Die größere Hoffnung ist die Geschichte eines Judenmädchens in Nazideutschland. Ich kann dieses Buch heute noch und wieder lesen. Ich stelle überdies fest, daß auch andere es noch lesen, nicht zuletzt junge Leute. Oder der Basler Schriftsteller Heinrich Wiesner, der es bei einer Zeitungsumfrage leidenschaftlich empfohlen hat. Lesen kann man also das Buch noch, und das ist ja wohl nicht selbstverständlich für Literatur aus dem Jahre 1948. Meine Frage an Sie: könnten Sie das Buch heute auch noch schreiben?
Aichinger: Ich weiß nicht, so wie man vermutlich nur einen Tag auf der Welt zubringt und jeder Tag ein neuer Versuch ist, diesen einen Tag zu leben, ist vielleicht auch jedes Buch, das man schreibt, ein Versuch, das einzige Buch zu schreiben, das man schreiben will. Ich könnte heute Die größere Hoffnung nicht mehr schreiben, so wie ich den gestrigen Tag nicht mehr erleben kann, aber vielleicht ist sie ein Teil des einen Buches, das ich schreiben möchte.
Schafroth: Sie wissen, daß heute allgemein behauptet wird, die Lage der deutschen Literatur unmittelbar nach dem Krieg sei eine besondere gewesen. Würden Sie das im Rückblick, Sie sind jetzt fünfundzwanzig Jahre „dabei“, auch so sehen?
Aichinger: Ich finde es eigentlich nicht, ich meine, jede Lage ist besondere Lage, wenn es überhaupt zu einer Lage kommt, so ist sie besonders, man könnte gerade so gut die heutige als eine besondere Lage bezeichnen. Es war eine andere Lage.
Schafroth: Worin besteht denn der Unterschied zwischen der damaligen Lage der deutschen Literatur und der heutigen?
Aichinger: Ich finde, daß inzwischen mehr Stille in alle Texte gekommen ist, jedenfalls in die, auf die’s mir ankommt, und hoffentlich auch in meine. Und wenn ich Beckett lese, und Robert Walser – obwohl es den damals schon gegeben hat, ich empfinde ihn aber sehr als heutig –, oder wenn ich Thomas Bernhard lese, so wird mir deutlich, daß die Stille zugenommen hat in den Texten, und sie ist für mich eine Form von Engagement.
Schafroth: Wäre nicht gerade die Zeit nach dem Krieg ein Anlaß gewesen für Stille in der Literatur?
Aichinger: Ja, es wäre eine Zeit für die Stille gewesen, aber damals waren alle zu aufgeregt, es war alles so neu. Inzwischen ist die Stille viel wichtiger geworden, und ich finde, man muß die Atemlosigkeit durchstehen.
Schafroth: Sie sollen ein Beispiel geben für Atemlosigkeit, Stille und Durchstehen; einen Text, der in allerletzter Zeit entstanden ist.
Aichinger: „Lebe jetzt wohl, Mary, lebe wohl, es war hübsch, dir zu dienen, du hast passiert. Hier sind zwei falsche Stufen, gib acht, gleich geht es abwärts, aber nicht für lange, leicht abwärts, so wie du es wolltest und nicht für lang, die Nelken warten, fall nicht, vergib, was sich dir bietet, laß die Hemden im Abfall, don’t look back, schon wieder, das schleicht sich ein, back, back, der Blick ist gut, der Rat auch, drum schau nicht, horch nicht, Mary, geh.“
Schafroth: Ihre Dichtung ist schwieriger geworden, Frau Aichinger. Sie sind sich dessen bewußt, und stellt sich für Sie da nicht die Frage nach dem Echo bei der Leserschaft? Haben Sie etwa ein Rezept, Aichinger zu lesen?
Aichinger: Ich weiß nicht, wie man meine Texte lesen soll, ich kann nur sagen, wie ich selbst Texte lese, die mich zugleich anziehen und mir Schwierigkeiten machen. Ich lese sie so, wie ich etwas suche, das verlorengegangen ist, indem ich zuerst das Suchen suche, die Form zu suchen, und wenn ich es gefunden habe, merke ich, daß ich eigentlich die Form zu finden gefunden habe, im Fall des Textes, die Form zu lesen, und daß Lesen und Schreiben wie Suchen und Finden sich einander bis zur Identität nähern können. Diese Form zu lesen, hat sich bewährt, und ich glaube, sie steht jedem offen. Wenn ich Joyce oder Beckett lese, ist es mir so gegangen, und selbst bei den Erläuterungen zu den Redensarten englischer Schulkinder, die ich auch oft lese, geht’s mir so.
Schafroth: Was lesen Sie, außer den Genannten? Sind auch Bestseller darunter?
Aichinger: Ich lese wenig Erzählendes, nicht Kafka, kaum Soziologie, ich lese auch wenig Bestseller; aber wenn Beckett zum Bestsellerautor würde, könnte mich das nicht hindern, ihn zu lesen.
Schafroth: Einer Ihrer neuesten Texte, „Meine Sprache und ich“, beginnt mit den Sätzen: „Meine Sprache ist eine, die zu Fremdwörtern neigt. Ich suche sie mir aus, ich hole sie von weit her. Es ist aber eine kleine Sprache. Sie reicht nicht weit. Rund um, rund um mich herum, immer rund um und so fort.“ Wenn Sie Sprache als etwas so Privates verstehen, gerät sie da nicht meinen Widerspruch zur Welt, an die sie sich richtet? Ich könnte auch sagen: Kommt es nicht zu einem Konflikt zwischen der Sprache und dem Willen zum Engagement?
Aichinger: Sprache und Engagement stellen sich mir nicht als Gegensatz dar, ich verstehe einen solchen Gegensatz nicht. Sprache ist, wo sie da ist, für mich das Engagement selbst, weil sie kontern muß, die bestehende Sprache kontern muß, die etablierte Sprache, weil sie fort muß aus dem Rezept der Wahrheit in die Wahrheit, weil sie das Gegenteil von Etabliertheit sein muß, aus sich selbst. Deshalb sind für mich alle, die ich genannt habe, engagierte Autoren.
Schafroth: Ich will engagiert präzisieren, indem ich „politisch“ davor setze. Ich könnte mir vorstellen, daß Sie gar nicht so anders zur Gesellschaft stehen als viele der sogenannten politisch engagierten Schriftsteller. Trotzdem dürfte es schwierig sein, Ihnen auf Grund dessen, was Sie geschrieben haben, das Etikett „politisch engagiert“ anzuhängen.
Aichinger: Ich stehe nicht anders zur Gesellschaft als viele der engagierten Schriftsteller, das stimmt. Aber mein Widerstand gegen die Formen des Miteinander- und Gegeneinanderlebens ist nur Teil eines stärkeren Widerstandes, dem die Natur nicht natürlich erscheint, dem Existenz, begonnen beim grünen Gras, kein Weggrund ist, keine Entschuldigung, für den es die Formulierung „weil es so ist“ nicht gibt.
(1972)
Aus Ilse Aichinger – Materialien zu Leben und Werk, Fischer Taschenbuch Verlag, 1990
– Collagierte Splitter. –
Aber ich habe mich auf meinen Querbalken eingelassen und ich muß ihn bestehen.
Variation: Aber ich habe mich auf die Sprache eingelassen und ich muß sie bestehen. Der Querbalken Sprache. Dieses sperrige Material, das mit der Sache, die es bezeichnet, partout nicht übereinstimmen will. Wult wäre besser als Welt. Arde wäre besser als Erde. Weil weniger brauchbar. Noch weniger brauchbar. Da die Wörter sind, wie sie sind, ist Vorsicht geboten. Lieber fragen, als wissen. Lieber suchen, als zum Naheliegenden greifen, zu dem, was auf der Zunge liegt. Daher der Querbalken. Der Querbalken auf der Zunge. Ist er überwunden, hat sich das Bessere davongemacht. Mitsamt den Zusammenhängen. Namensstaub? Worterweckung. Wagemut? Und ob.
I. Fragen
Umsonst und vorbei, der Mond hat umsonst geschienen oder nicht? Hat es viel Sinn gehabt, daß ihr die Balken schräg eingesetzt habt und die Lampen als Kugeln an die Hausmauer? Wird uns kein Dachsparren verraten, kein Rauch kein Eber? Wird uns kein Seiler und keine Taube grüßen und wird es uns nicht wärmer als Schatten sein? Was ist in Querholz? Ist es ein Name oder ist es ein Herz, ein Zeugnis oder ein Zug zum Gesunden? Ist das nicht wesenlos? Der ungefähre Gleichklang der Vokale? Die ganze edle Reihe und wie sie mit Stricken nacheinander warfen? Geschenk, Geschenk? Ist es denn erlaubt, von Hasen zu sprechen, wenn es nur noch vier sind? Welche Zahl ist es, die den Namen schützt? Wäre es nicht möglich, die Pocken seitlich abzustreifen? An den dürren Föhren links und rechts? Wäre es dann nicht möglich, das Ganze abzuändern? Abzuändern? Ich meine: Pocken zur Mährenzeit? Ist das nicht ausgefallen? Beharrt der Schnee besser oder fällt er eher ab? Wie sollte ich Amen sagen, ehe ihr es sagt? Stoßen Sie den Karren nur hinein oder springen Sie mit, binden Sie sich vorher los von Privas oder nicht? Aber ich? Kenne ich mich? Mich – mich – mich – mich? Wie heißt die letzte Frage? Wie heißt sie? Soll man wieder beginnen, die alten rührseligen Geschichten zu erzählen? Das Mitleid heraufzubeschwören? Ob du zum Apfelreis tauchst oder zur abgesoffenen Klosterküche? Ob du noch was summst, wenn es dich hochspült? Hemlin, Hemlin, wo bist du? Wieviel Milch verdrängte Keats, der im Millimeterraum starb? Was hat Krikett mit zerriebenen Satteldecken zu tun, mit den Sammelbriefen aus Übersee? Wonach richtet man sich? Der Bund zwischen uns und uns, wollen wir ihm Ehre antun? Lösen wir ihn? Soll erweitert werden? Wer riet mir, mich an die Sprossen zu halten? Soll ich mich daran halten? An meine vierte zittrige? An meine liebste? Sehen, was sie kann? Wer sah Tyrrhus, sah den Korb? Wen, wessen Herzschlag, die Felle kreuzen, werden rasch vertauscht, wer sah ihn? Ist Melbourne in Ordnung? Die Finsternis, dann die Schlängelwege, zuletzt die Reihenfolgen, vor, haupt, nach, wie kommt das? Ist es jetzt finster? Ginger, Quadalupe oder Kumawi? Ermattet oder nicht, wer fragt dich, Blinder?
II. Komposita
Querbalken, Schiffsbestandteil, Synagogenform, Flußauen, Gittermuster, Schattenpflanze, Drachenwolke, Querholz, Kirchturmnähen, Kriegsspiele, Windspiele, Elcharten, Hirschkühe, Marsfelder, Sturmreste, Längsschiffe, Rosenkranzfeste, Zillenhölzer, Konditorssöhne, Altersheime, Hochzeitsurkunde, Ladenholz, Vogelherzen, Filzhund, Pflaumengärten, Grasmücken, Staatsgefängnisse (Querbalken). Nordwestkanäle, Schneewolke, Bauernreise, Seeschwämme, Hagelschauer, Raketenhafen, Holzschuppen, Flickenteppich, Wetterwiese, Totenbilder, Heimatbilder, Pilgerkörbe, Spiegelbilder, Tempelgesimse, Binsenkraut, Pflugschar (Bauernregel). Weißwaren-, Wurzelerzeuger, Hutständer, Flickerlichter, Ziegenhirten, Erntevorschriften, Fichtensprößlinge, Tanzfiguren, Oststürme, Maisgeruch, Spiegelfechter, Scherbenlichter, Alleebäume, Kohlmesser, Tempelquergänge, Maisstroh, Lichtstreifen, Staubwolke, Begräbnis-, Erschöpfungspausen, Eis-, Schotterhalden, Zephirluft, Steinblöcke Höhlenbau (Port Sing). Jagdgegenstände, Lederhocker, Westafrika: Pappdeckel, Schlangeninseln, Kranichschwarm, Mutterland, Hakenschuhe, Schwimmvögel, Wüstenlehrerin, Nußschale, Flossenschule, Sturmwind, Herzblatt, Tempelvorbau, Kompottlöffel, Kindertage, Brackwasser, Löwenaugen, Vergißmeinichtsorte, Deckstauden, Missionsschulen, Leuchtfeuer, Generalsnamen, Hakenwürmer, Wüstenfüchse, Buntrock, Kehl-, Lippenlaute, Robbenfang, Affenbrot, Erdnuß, Wattebausch, Backwerk, Himmelfahrt, Holzlichter (Die Schwestern Jouet). Fellhändler, Vaterländer, Namenssinn, Pulverdampf, Urväter, Stockschirme, Haarschleifen, Namensstaub, Papphülle, Kramläden, Kinderzeit, Schleckwerk, Wetterfahnen, Pestwolke, Speisewege (Ajax). Westsäulen, Außenseiter, Strukturentwerfer, Jagdgegner, Westsäulenliebhaber, Schlachtfelder, Nichtsänger, Blechreste, Zwischenräume (Die Liebhaber der Westsäulen). Schwitzkasten, Gewerbeschule, Spinngerät, Fluggerät, Gehgerät, Krückenausstellung, Netzflickermethoden, Rocksaum, Tollwütigenhorde, Kleiderständer, Tollwütigenanstalt, Kinderfuhrwerk, Kegelberg, Störsender, Warumheuler, Viehverwertungsanstalten, Lügengeschichten, Häkelschnüre, Bildungsanstalten, Brandstellen, Absaufkarte, Höhlengelichter, Kuhhäute, Schafkoppelpächter (Privas). Geldscheinspitzen, Schalttafeln, Buspreislisten, Kapellengelée, Wasserstand, Rohrpost, Mastbienen, Restfrage, Imbißstätten, Viehzaun, Trompetenstöße, Lampentricks, Nadelöhre, Einziehnadelöhre, Roßhaarkurs, Teezeit, Zehenspitzen, Zoll-, Vermessungsämter (Albany). Sehstörungen, Sektenbildungen, Gehbehinderungen, Südwestströmungen, Palmenstamm, Seehundsbänke, Rettungskommando, Morgenblätter (Die Vergeßlichkeit von St. Ives). Kopfzerbrechen, Millimeterraum, Farbnachlaß, Satteldecken, Sammelbriefe, Schutzfarben, Meßband, Teilstriche, Vorlicht, Gewaltsache (Surrender). Spinnwegfäden, Hohlzäune, Papprollen, Geheimsachen, Fetzenthemen, Strohmann, Scherbenhügel, Pappmühlen, Walkmühlen, Zundermühlen (Bergung). Revolutionsarchitektur, Erdlochfrage, Rabenflügel, Steigbügel, Leitersprossen, Leiterwerk (Sur le bonheur). Schwindelerreger, Kettenhemd, Leseanleitung, Nähfaden, Wortlaut, Stromtäler, Schneidertisch, Ringelschwänzchen (Queens).
III. Eigennamen
Tina, Isaak, Auguste, Edison, Rahel, Adolphe, Ajax, Kensington, Peggy, Ellen, Penzance, Melissa, Albany, St. Ives, Wisconsin, Alissa, Auckland, Hemlin, Jenkins, Privas, Mary, Ambros, St. Louis, Thyrrus, Eliza, Litford, Muzot, Melbourne, Chrigina, Rahel, Dover, Denver, Ophelia, Greenberg, Anne, Cordelia, Quentin, Port Sing, Joe, Kumawi, Quadelupe, Pedro, Joan, Galy Sad, Annie, Bilbao, Aaron, Silberschmidt, Mazarin, Koks, Reisnitzer, Irrgänger, Gloucester, Karfunkel.
Drei Dinge, die mir bei Ilse Aichinger besonders auffallen. Sie fragt, ohne verunsichert zu sein oder zu verunsichern – fragen = sagen = der Zugriff der Träume aussetzen –, sie greift zum kompakten Kompositum, das ein Maximum an Bildhaftigkeit verspricht, um das Bild immer wieder hinter sich zu lassen – was ist ein Roßhaarkurs ein Vorlicht, eine Mährenzeit? –, sie setzt Namen, die sich fremd und vieldeutig behaupten – Hemlin, ein Knirps, eine Stadt im Staate Jackson, eine von Veronese skizzierte Dame, ein Briefkopf, „eine Art unvernünftiger Freude aus in sich vernünftigen Anlässen“, ein Monument, „rund, macht Schwierigkeiten“.
Nicht Irritation, Verwunderung stellt sich bei diesen Wörtern ein, Verwunderung darüber, wie selbstverständlich sie sich behaupten. „Sie liegen offen. Intra muros. Sind da.“ Da wie der Satz: „Hell ist wahr.“ Keine Widerrede. Denn wer da spricht, hört nicht auf, aufzugeben. Surrender. Aus einer Position, die das „Minimum unterbietet“, die sich als „entfernbares Zwischendasein“ oder als „mißratene Verzweiflung“ bezeichnen ließe, entsteht Sicherheit ohne Apodiktik.
Die Poetik der Ilse Aichinger basiert auf dem Paradox auf der Reduktion, auf dem „Schweigen“. Eine Poetik der Untertreibung: „die Kargheit messen“, „einschränken und zuschauen“, „zum Zweitbesseren übergehen“, „nebenbeisprechen“. Eine Poetik der „genauen Ahnungen und der stillen Subversion: „Das heißt, im Spiel mit den Wörtern seie eigene Lautlosigkeit in die ihre einbringen. Das heißt in diesem Zeitalter, in dem alles erzählt und nichts angehört wird, alles auf den Kopf stellen. Der Erzählwelt Schweigen abfordern, der Welt, sich selbst, den Wörtern, den Klängen.“ So erst gewinnen die Wörter „den Reiz, der eine späte Spielart der Notwendigkeit ist“.
Spiel als Notwendigkeit, Schreiben als Schweigen – „Ergebnis des genauesten, stillsten Hinhörens“. Der Horcher, der Träumer ist konzentriert. Kontrolliert? Auch das. Nicht alles taugt, was von weit her kommt, und Zweifel – an Balkonen etwa – ist angebracht. Guter Zweifel, der bewirkt, daß Wörter wie „Heu“ oder „Schnee“ zum plastischen Wortding werden, das sich gleichsam abtasten, abschmecken läßt, zu einem Fremdwort, zu einer kleinen Epiphanie.
Im Ruin der Zusammenhänge leuchtet das Wort. Neu und fremd. Wisconsin und Apfelreis. Die Dame sinkt, die Bordüren krachen, sonst ist es schön still. „Bergung“, heißt das. Und es heißt, Privas sei „ein Schwitzkasten, eine Anstalt für tollwütige Lieblinge, sagen wir, ab vier“. Nichts, was dagegen spräche, im Gegenteil. Schon sind unsere Rockfalten tollwütig, schon sind wir da, wo Ilse Aichinger uns haben will: in Privas. Privatim, oder auch nicht, jedenfalls sind die Küsten nicht mehr weit, auch die Brandstellen nicht.
Der gebrannte Leser
Er weiß daß „kein Wort ohne Widerwort, kein Spruch ohne Widerspruch“’ (Gisela Lindemann) bleibt, daß statt der Übereinkunft die Setzung gilt, die Widersetzung. Er schert aus – nicht in die Virtualität, sondern in die Aichingersche Wirklichkeit, eine kristalline Wortwelt, die nichts opak läßt. „Was sind Gründe? Was Gründe sind.“ „Wie heißt die letzte Frage? Wie heißt sie? Ja. So heißt sie.“ „Wie er ist? Ja so.“
Da die herkömmliche Logik sanft verabschiedet wird, haben solche Aussagen nichts Tautologisches. Der gebrannte Leser vertraut sich ihnen an; die Lust, sich ihnen nicht anzuvertrauen, ist ihm längst vergangen: wegen der Einsamkeit. Wird er nicht angeredet, befragt, zum Mitwisser gemacht, zum Co-Autor? Wenden sich die „schlechten Wörter“ nicht beharrlich-dialogisch an seine Kompetenz? Er winkt gelegentlich ab, zielsicher müde, unsicher, ob er „alle Sprünge übersieht“. Doch beschworen ist verschworen. Ist „verzweifelt in einer unerhörten Freiheit“, auch das. Der gebrannte Leser liest, liest mitunter gegen jede Evidenz, und entdeckt „die Unausweichlichkeit der sprachlichen Erscheinung“, „den Tod zu ihren Seiten“. Das Schweigen. Die Angst. Und liest weiter. In freudigem Schrecken.
Eine Zumutung? Nein.
Ilma Rakusa, aus Ilse Aichinger – Materialien zu Leben und Werk, Fischer Taschenbuch Verlag, 1990
Aichingers erste Gedichtpublikationen in Buchform erschienen in Wo ich wohne.22 Hier enthalten sind die auch in Verschenkter Rat aufgenommenen Gedichte „Außer Landes“, „Winterantwort“, „Florestan“, „Teil der Frage“, „Die trüben Stunden nutzend“, „Faltername“, „Königsreim“, „Spaziergang“, „Gebirgsrand“, „März“, „Winteranfang“, „Briefwechsel“, „Widmung“, „Auf Sicht“, „Anweisung“ und „Ende des Ungeschriebenen“. Weitere Texte wurden in Dialoge, Erzählungen, Gedichte23 veröffentlicht: „Marianne“, „Gonzagagasse“, „Dreizehn Jahre“, „Attersee“, „Alter Blick“, „Ihr da“, (In Rat „Mir“ betitelt) „Zwei Orte, zusammengelegt“, „Mein Vater“, „Mägdemangel“, „Winterrichtung“, „Selbstgebaut“, „Übermorgen“, „Triest“. Die beiden Gedichte „St. Gilgen“ (geschrieben 1955) und „Heutig“ (geschrieben 1959) wurden nicht in Rat aufgenommen. Als unabhängige Veröffentlichungen in Anthologien oder Zeitschriften erschienen die folgenden, nicht wieder abgedruckten Texte: „Herbsthausen“, (geschrieben 1960) „Notiz“, (geschrieben 1961/62)24 „Fort Gibson“, (geschrieben 1959)25Aichinger: „Fort Gibson“, Neue Rundschau 70 (1959), Heft 4, S. 633 „Der Taxus“, (geschrieben 1955)26 „Im Schnee“.27 „Astronomie“ ist mir nur aus einer privaten Sammlung zugänglich.28 „Befehl des Baumeisters beim Bau der Prinz-Eugen-Straße“ erscheint in den Fassungen bei Piontek29 und Höllerer30 mit dem Zusatz: „Gegeben am –“ als 12. Zeile.
„St. Gilgen“31 ist im Ton einer erlesenen Melancholie gehalten. Die durch das Bewußtsein der Vergänglichkeit und des Verfalls evozierte Untergangsstimmung und die Andeutung menschlicher Unzuverlässigkeit durch den „raschen Abschied“ (Z. 9) lassen den Sprecher an dem unvorhergesehenen Alleinsein leiden. Die Radspur deutet an, daß das Gegenüber fluchtartig abgereist ist. Die Natur, die welkende Blume, und die aus organischen Materialien hergestellten Elemente reflektieren das den Sprecher beherrschende Gefühl des Alterns, des Verbrauchtseins und des Verfalls. Der Text wirkt herbstlich. Durch die Erinnerung an vergangene Freuden, die das Ende des Gedichts zart berührt, ist die Verlassenheit nach dem plötzlich erfolgten Umschwung besonders schmerzlich. Die Variation in der früher veröffentlichten Fassung betont mehr die Schwermut und Trauer, während „schwach“ (Z. 6) die Emphase auf das Verbleichen und die Vergänglichkeit der Eindrücke legt.
„Der Taxus“ ist thematisch mit „St. Gilgen“ verwandt. Die Hecke ist ein Element der Stabilität im Leben der alten Frau. Ihr Hauptbezugspunkt ist das pflanzliche, nicht einmal mehr das animalische oder menschliche Phänomen. Ihre Welt wirkt menschenleer. Zuversicht und Resignation liegen in der dem Taxus zugeschriebenen Versicherung, die Träume der Alten zu fangen. Getrennt von den Menschen, ist sie eins mit der Natur, dem größeren, universaleren Leben. Die Harmonie ist basiert auf der kreatürlichen Bescheidenheit sowie der durch Einsamkeit implizierte Entfremdung von Gesellschaft und Zivilisation in der Ruhe des Alters.
„Heutig“ ist in der dritten Person gehalten, obwohl durch die ungewöhnliche Perzeption die Persönlichkeit des Sprechers intensiv durchscheint. Die Stimmung ist ahnungsvoll und unheildrohend. Visionär werden Veränderungen in der Luftstruktur wahrgenommen: die „gläsernen Plättchen“ (Z. 1) fehlen. Diesen Elementen, möglicherweise Luftspiegelungen an schönen Tagen, wird eine überwachende, lebensordnende Funktion zugeschrieben. Ihre Abwesenheit und ihr apokalyptischer Untergang haben den Verfall der menschlichen Gemeinschaft zur Folge. Die Plättchen sind belebte und fühlende Teile eines universalen Ordnungsprinzips. Sie suggerieren Helle und Heiterkeit.
Ihre Vernichtung findet im visionären Bereich statt. Vorstellungen von Extremen sind an ihn geknüpft: Kälte, Unfruchtbarkeit. „Glühendes Eis“ (Z. 11) evoziert die Verschmelzung von zwei lebenszerstörenden Temperaturen und eine glitzernde, transparente Masse, die zähflüssig oder gasähnlich sein mag, da die Plättchen sie trinken. Es läßt sich an moderne Vernichtungsmittel, Gas, Phosphorbomben, möglicherweise Napalm, denken, die den Zusammenbruch der natürlichen und menschlichen Ordnung zur Folge haben, die Lebensvoraussetzungen zerstören.
„Herbsthausen“ ist an ein Du gerichtet. Der Sprecher macht sein Gegenüber aufmerksam auf die Geräusche der Schatten in einer gespenstischen Atmosphäre. Aus einem Zwischenbereich werden Drohung und Sarkasmus kommuniziert. Die Schatten unschuldig, märtyrerhaft Verstorbener haben ein grauenerregendes Gelächter für die noch Lebenden, für die die geistige Präsenz der Gemordeten noch immer in der Landschaft anwesend ist.
„Notiz“ gilt ebenfalls dem Andenken der Schatten. (Z. 5) Vertauschte Kategorien – menschliche Vorstellungen werden auf den Objektbereich übertragen – deuten subtil an, daß menschenähnliche Reaktionen von den Toten und von Dingen eher als von Menschen zu erwarten sind. Da der pflanzliche, tierische und menschliche Bereich aus dem Text ausgeklammert werden, ist das „uns“, die Überlebenden, direkt mit dem Tode konfrontiert. Das „Leuchten“ (Z. 6) der Schatten deutet auf den Modellcharakter, den sie für das „uns“ einnehmen und auf die Liebe, die der Sprecher, der selbst zum Teil der Vergangenheit angehören zu scheint, für die Toten hegt.
„Im Schnee“ ist ein zweiteiliges Liebesgedicht. Allerdings ist Liebe eine gebrochene Emotion. Der erste Teil spricht von der Liebe des Ich in kosmischen Termini, wobei freilich die „Schneewolken“ (Z. 1) und der „Nebel“ (Z. 5) Kälte und Feuchtigkeit, die „Eiswände“ (Z. 5) Härte andeuten. Die Perspektive ist ungewöhnlich. Der Sprecher bettet sich und den Geliebten in die Wolken mit dem Blick zur Erde hin. „Der Himmel der Liebenden“ wird wörtlich genommen und gleichzeitig durch die umgebenden Elemente in Zweifel gezogen. Obwohl das Ich zärtlich spricht, verrät das Einhüllen des Geliebten den Wunsch, den Partner zu isolieren.
Im zweiten Teil wird die Brüchigkeit des Verhältnisses noch auffälliger. Das Ich fühlt sich nicht nur vom Du, sondern auch in sich separiert. Es wird auf zwei Personen, beide weiblichen Geschlechts, aufmerksam gemacht, was auf die Eifersucht des Ich und mögliche Treulosigkeit des Du hindeutet. Eine Person, scheint es, ist nicht genug, um die Unendlichkeit des Liebesdranges – das Streben aus der angeborenen, individuellen Isolation – zu erfüllen. Die Liebe ist hier nicht mehr himmlisch, sondern sehr irdisch. Das Dach und die Sägespäne indizieren Unfertigkeit. Die letzte Frage ist an Außenstehende gerichtet. Sie suggeriert die Hilflosigkeit des fragenden Liebenden und ist ein Hinweis auf die Zeitlichkeit und Vergänglichkeit der Liebe.
„Astronomie“ ist ein kryptischer Text, der im Gegensatz zu der durch den Titel hervorgerufenen Erwartung von festen Konstellationen Chaos nachzeichnet. Das „wir“ mit seinen gedeckten Sternen (Z. 2) ist der stabile Bezugspunkt in einem in dynamischer Bewegung dargestellten Kosmos. Die vielseitige Bedeutung der Sternchiffre in GH wird evoziert. Verwirrung und Verwechslung liegen allenthalben vor. Die Zusammenstellung Hunde-Gefieder (Zz. 4–5) vermischt zwei Tierarten. Die roten Aufgänge der Sonnen (Zz. 7–8) suggerieren Blut, Verderben, Krieg. Rot ist gleichzeitig auch die Farbe des Mars. Das Universum befindet sich im chaotischen Zustand des Zusammenbruchs. Der Text ist apokalyptisch und visionär. Die Außenwelt bietet keine Sicherheit. Nur von innen und durch die persönliche Identifikation wird die Ruheposition des „wir“ erreicht – auch eine Konstellation, wenngleich auch kein Sternbild. Diese Personengruppe, die den gedeckten Sternen zugeordnet wird, ist das statische Zentrum dieses Weltalls. „Astronomie“ greift das bei Aichinger häufige Motiv der persönlichen, innerlichen Sicherheit im Angesicht der Katastrophe auf, die wenn sie erreicht ist, selbst dem Untergang und der Gefahr trotzt.
„Fort Gibson“ spricht von enttäuschten Erwartungen. Die idyllische, ländliche Geborgenheit ist ein Traum, das Familienleben – Mütter und Kinder – ein Bild. Real dagegen ist das trügerische Olivgrün, die Farbe von Tarnuniformen. Es signalisiert eine Gefahr die sich am Ende des Gedichtes bestätigt in der Angst des Sprechers um den Bruder. Sicherheit und Glück erweisen sich als Illusionen. Der Sprecher, beweglich durch sein Pferd, ist sich dieser Tatsache bewußt. Real sind seine Sorge und Angst, während seine Sehnsucht dem Wunschbild des Friedens gilt.
Dagmar C.G. Lorenz, aus Dagmar C.G. Lorenz: Ilse Aichinger, Athenäum Verlag, 1981
NOTAT AN EINEM TRISTEN TAG
grisura sagt Anibal. Der regen
der gegen die fenster
nicht mehr stürzt &
von der altbotschaft des regens ab
getrommelt feine rinnsalzeichen
& magie des fließens. Es gibt
kein fensterplural am boden
die scherben die schergen
lauthalsschädel lehnen
hinaus hinaus das wort & fort
die w:orte / privatisiert
sag graureich, sag grisura
15. November 2016
Ilse Aichinger in memoriam
José F.A. Oliver
Hans Magnus Enzensberger: Überlebenskünstlerin Ilse Aichinger
Felix Philipp Ingold: Gedenkblatt für I. A.
Peter Hamm: Gedenkblatt für Ilse Aichinger
Gegenwartsproof: Ilse Aichinger – Es sprechen Sonja vom Brocke, Margret Kreidl und Ferdinand Schmatz mit Theresia Prammer über die Bedeutung des Werkes von Ilse Aichinger.
Karl Krolow: Laudatio zur Verleihung des Nelly Sachs-Preises 1971
Ein Gespräch zwischen Michael Braun und der Literaturwissenschaftlerin Simone Fässler über das Werk von Ilse Aichinger.
Ein Gespräch zwischen Michael Braun mit dem Lyriker Levin Westermann – über Ilse Aichinger, Poesie und Schweigen und die Unheilsengel der Geschichte.
im Literarischen Colloquium am 31.10.1996. Moderation: Hajo Steinert. Gesprächspartner: Richard Reichensperger.
Einleitung: Hajo Steinert stellt die Autorin Ilse Aichinger vor.
Gespräch I: Richard Reichensperger spricht mit Ilse Aichinger über ihre Jugend.
Gespräch II: Wie war das Leben 1945?
Gespräch III: Das Wesen der Erinnerung, oder: Wie sind Ilse Aichingers Bücher entstanden?
Gespräch IV: Fällt Ilse Aichinger das Schreiben leicht?
Lesung IV: Ilse Aichinger liest kurze Gedichte.
Andreas R. Batlogg: Dass es den Ort einer anderen Existenz gab
Die Furche, 8.11.2001
Peter Mohr: Alles Komische hilft mir
literaturkritik.de, November 2006
Sabine Rohlf: Es geht immer um Genauigkeit
Frankfurter Rundschau, 1.11.2011
Paul Jandl: Ilse Aichinger, die Grande Dame der österreichischen Literatur
Hamburger Abendblatt, 1.11.2011
Peter Mohr: Das Komische macht mich glücklich
titelmagazin.com, 2.11.2011
Anja Hirsch: Unerkundbar, undurchschaubar
Deutschlandfunk, 1.11.2011
Susanne Stephan: Verse, verborgen
poetenladen, 2016
Bettina Steiner: Ilse Aichinger: Es gilt das genauere Wort
Die Presse.com, 30.10.2016
Helmut Böttiger: Die Seufzer der Sprache
Süddeutsche Zeitung, 29.10.2021
Christian Schacherreiter: Die subtile Poesie der Verhängnisse
OÖNachrichten, 30.10.2021
Michael Braun: Zum 100. Geburtstag der großen österreichischen Dichterin Ilse Aichinger
Badische Zeitung, 29.102.2021
Tilman Krause: Die Frau, die als erste über den Holocaust schrieb
Die Welt, 1.11.2021
Peter Mohr: Schreiben ist kein Beruf
literaturkritik.de, November 2021
(auch im titel-kulturmagazin.net, 1.11.2021)
Christian Metz: Schreiben müsste punktueller sein
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.11.2021
Magnus Klaue: Erinnerungen an eine große Schriftstellerin
Der Tagesspiegel, 1.102.2021
Günter Kaindlstorfer: Ilse Aichinger und die machtvolle Ohnmacht der Worte
Deutschlandfunk, 1.11.2021
Michael Wurmitzer: Ilse Aichingers 100. Geburtstag in Linz: Widerstand mit Worten
Der Standart, 23.10.2021
Gerhard Zeillinger: Ilse Aichinger: Schreiben als existenzielle Verflechtung
Der Standart, 1.11.2021
Matthias Greuling: Ilse Aichinger: Effizient wie ein Film
Wiener Zeitung, 1.11.2021
Teresa Präauer: „Autorinnen feiern Autorinnen“: Ilse Aichinger
Die Furche, 3.11.2021
Achim Engelberg: Schreiben nach Auschwitz – zum 100. Geburtstag von Ilse Aichinger
piqd.de, 1.11.2021
Es begann mit Ilse Aichinger 1921–2021. Erzählen vom Ende her und auf das Ende hin
Onlineausstellung kuratiert von Christine Ivanovic und Sugi Shindo
100 Jahre Ilse Aichinger. Mit Thomas Wild, Nikola Herweg und Ulrich von Bülow
Nach Lektüre einiger Nachrufe ein paar Notizen zur Rezeption ihres Werks von Teresa Präauer.
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