A LITMUS TALE
The scribes sank in wonderment.
This was no the hierarchical file to which
access had been deeded. It was something
far more wonderful: an opaque pebble in the grass.
I am almost always looking
for themes to break down to further my research
into backward climes of noon alienation and majesty.
One, a little farther than here,
resonates today with unusual candor:
my own take on the disheveled
frankness we all inhabit
at one time or another. Backing away from tribal sunshine
so as to inhabit a no doubt intact compunction of one’s own.
LACKMUSTEXT
Die Schreiber versanken in Staunen.
Das war nicht die hierarchische Datei, zu der
man ihnen Zugang gewährt hatte. Dies war
viel zauberhafter: ein opaker Kiesel im Gras.
Ich suche fast immer
nach verzweigten Themen, vertiefe meine Forschung
in gestrige Gefilde: Mittagsfremde und Erhabenheit.
Eines, nicht weit von hier,
summt heute mit seltenem Freimut:
meine eigene Lesart der zerzausten
Offenheit, die wir alle bewohnen,
ab und zu. Abstand nehmen vom Stammeslicht, wie um
ein zweifelsfrei intaktes, ureigenes Bedauern zu bewohnen.
Übersetzung Uljana Wolf
EINE LACKMUSGESCHICHTE
Die Schreiberlinge sanken in Verwunderung.
Dies war nicht die hierarchisch folgende Datei,
zu der man den Zugriff gestattet hatte. Es war etwas, das
weit wunderbarer war: ein dunkler Kiesel im Gras,
Ich warte fast immer
auf Bildwelten, dass sie einbrechen, meine Forschung versetzen
in vergessene Gefilde der Mittagsfremd- und Erhabenheit.
Eines klingt heute, ganz in der Nähe,
mit unüblicher Offenheit nach:
meine eigene Sicht auf die zerraufte
Aufrichtigkeit, die wir irgendwann alle bewohnen.
Zurückweichend vorm Stammessonnenschein. So, als ob
man ein unstreitbar intaktes Gewissen von seinesgleichen bewohnte.
Übersetzung Tobias Amslinger
Schon der Titel von John Ashberys Sammlung A Worldly Country, die er in seinem 80. Lebensjahr veröffentlicht hat, ist in seiner subtilen Wortwahl außergewöhnlich. Natürlich ist jedes Land „worldly“ (weltgewandt), schon dadurch, dass es ein Teil der Welt ist; aber wörtlich heißt „worldly“ auch „kultiviert“ und „erfahren“. Doch schon die „contiguous states of America“, wie Ashbery sein Land in dem Gedicht „So, Yes“ nennt, stellt er in diesem Buch als das Gegenteil von weltgewandt dar. Ashberyland, wie wir es kennengelernt haben, ist verwirrend unübersichtlich, chaotisch und widersprüchlich – ein Ort, an dem „Mirage control has sealed the borders / with light“ („Filigrane“). In dem 2007 erschienenen Buch ist die Dislokation zudem nicht länger vorwiegend persönlich: das Gespenst von 9/11, die Bombenanschläge auf die New Yorker Twin Towers unweit von Ashberys Heim in Chelsea, spukt durch die Seiten.
Ashbery, dessen erstes Buch Some Trees 1956 veröffentlicht wurde, wird generell als der größte zeitgenössische Dichter Amerikas angesehen. Diese Anerkennung jedoch brauchte ihre Zeit: nach einem Harvard-Abschluss und einem ersten Job in New York, einem Literaturstudium an der Columbia University und der Arbeit für den Verlag McGraw Hill, bekam dieser schüchterne junge Mann, der auf einer Farm in der Nähe von Rochester im Staat New York aufgewachsen ist, ein Fulbright Stipendium für Paris und verbrachte dort ein für ihn glückliches Jahrzehnt. Er lebte zusammen mit Pierre Martory, schrieb Artikel für den Herald Tribune und Kunstkritiken für Art News. Zur gleichen Zeit arbeitete er an jenen experimentellen Gedichten, die 1962 unter dem Titel The Tennis Court Oath erschienen sind. Anders als Some Trees, das von W.H. Auden mit dem angesehenen Yale Younger Poets Preis ausgezeichnet wurde, hat man The Tennis Court Oath in den USA schlecht aufgenommen: Harold Bloom beispielsweise nannte es ein „grauenvolles Desaster“. Und so ließ der Erfolg bis zu den 70er Jahren auf sich warten, als in der direkten Nachfolge der Prosameditation Three Poems (1973), Self-Portrait in a Convex Mirror (1975), mit seinem großartigen, ekphrastischen Titelgedicht jeden erlangbaren Preis gewann und Ashbery eine ergebene Anhängerschaft bescherte.
Was aber verleiht Ashberys Lyrik ihren besonden Nimbus? Eine hervorragende Erklärung gab uns Ashbery indirekt selbst in einem frühen Essay über den französischen Dichter Pierre Reverdy:
Reverdys Gedichte vermeiden die Regeln der surrealistischen Dichtung, und sie werden dadurch um so reicher. Er scheut nicht davor zurück, mit Sprache und Syntax zu experimentieren, und oftmals ist es schwierig zu ermitteln, ob eine bestimmte Zeile mit dem vorhergehenden Satz zusammenhängt oder mit dem nachfolgenden. Die Zeilen treiben über die Seite in der Art wie menschliches Sprechen durch unser Gehör zieht: Fragmente von Gesprächen, Schnipsel aus Werbeslogans oder von Warnschildern in der Ubahnstation tauchen auf und bleiben im gläsernen Stein des Gedichts bewahrt. Er bleibt dabei weit entfernt davon, die Dichtung ins Unterbewusstsein zu verdammen, er lässt sie frei zwischen Bewusstsein und Unbewusstem pendeln. Da wir keine dieser Sphären exklusiv bewohnen, ist das Resultat dieses Vorgehens bewegend und lebensecht. Manchmal erscheint, was ihn beschäftigt, unendlich klein – beispielsweise der Schatten einer Münze auf einer Zündholzschachtel – doch das kleine Objekt kann mit einem Mal riesig werden, „alles auf einmal“, in der Art eines Sekundenbruchteil-Crescendos wie es sie in der Musik Webers gibt. Bei Reverdy kann man in einem Moment einen Wassertropfen auf einem Grashalm durchdenken und im nächsten um sein Leben schwimmen. Es handelt sich um eine beunruhigende Dichtung, doch gleichsam fühlt man sich sehr nah am Leben wie es wirklich gelebt wird.
Man darf nicht unterschätzen wie nah diese Erklärung einem Gedicht wie beispielsweise „For Now“ kommt, das hier in zwei verschiedenen Übersetzungen von Gerhard Falkner und Lars Völlert (S. 34) erscheint. Das Gedicht beginnt mit einem von Ashberys charakteristischen „Sekundenbruchteil-Crescendos“: „Much will be forgiven those“ – ein Klischee der Kanzel oder des politischen Treffens – wird unverzüglich unterwandert von der deflatorischen Spezifizierung „on whom nothing has dawned“. Die Ahnungslosen in unserer Kultur sind jenseits von Ruhm und Tadel: das „frühe Licht der Morgendämmerung“ („dawn’s early light“) des „Star-Spangled Banner“, welches, so können wir durchaus folgern, sich nicht mehr auf den „Morning in America“ freut. Solche Wortspiele ziehen sich durch die Strophe und führen zum Beweis der Verkäufe, die stattfinden in „cornucopias / of bargain basements“, die irgendwie „open to the weather“ sind. In diesem verzogenen Universum wurden Pseudoregeln aufgestellt „A way of sitting down/ has been established“, und „spiffy white legs“ ragen aus unwahrscheinlichen Orten wie Vorratskammern und Heuböden. In der Tat wird „Enlightenment“ (Aufklärung, Erleuchtung) – also nichts anderes als der Grundpfeiler unserer Republik – den Monaten zum Verbrauch verliehen „in their gradual progress through the years“. Ganz so, als hätten Monate irgendeine Wahl darin, wie sie voranschreiten. An jeder Biegung dieses ausnehmend komischen wie angsteinflössenden Gedichts wird der Leseprozess ausgebremst, indem jede Erwartungshaltung unterlaufen wird.
Ganz gleich jedoch wie absurd Ashberys Referenzen auch erscheinen mögen, der Diskurs in „For Now“ ist genau das, was Ashbery von Reverdy behauptet: „bewegend und lebensecht“. Beim Lesen eines Ashbery-Gedichts schnappen wir Bruchstücke von Gesprächen auf – Allusionen an alte Filme, an Elemente der Popkultur, „sudden realizations“ (Zeile 20) und geradezu alberne Aphorismen wie „pain [is] as reversible as pleasure“ – eine wunderbar unsinnige Formulierung, da Lust doch selbst die Umkehr von Schmerz ist. Das Gedicht steuert auf die vorgetäuschte Epiphanie zu, dass Hotelzimmer „the meaningful space one has always lived in“ sein könnten. Kaum aber ist diese Aussage getroffen, da untergräbt Ashbery sie bereits mit der Bemerkung „It’s only a shread, really, a fragment of life / no one else seemed interested in“. Derlei Selbstunterbrechungen sind letztlich typisch für die Art, in der wir miteinander sprechen. „For Now“ weist zudem Ashberys vertraulichen Grundton auf, eine Art mitgelauschte Rede, die sich an einen namenlos bleibenden Freund, Liebhaber, vielleicht auch an den skeptischen Leser richtet. Die Konstruktion des Gedichts aus dem Materialgemisch aus Alltag und Bewusstseinsstrom scheint sich direkt vor unseren Augen abzuspielen. In Ashberys früher Dichtung liegt der Schwerpunkt zumeist auf der Bedeutung von persönlichen Beziehungen, auf Problemen der Kommunikation und den zahlreichen Möglichkeiten des Scheiterns von Liebe. In A Worldly Country verschiebt sich der Diskurs auf ein eher öffentliches Leben – die Welt der Hochfinanz und des Kapitals, der täglichen Schlagzeilen. „Image Problem“ beispielsweise endet mit den folgenden Zeilen
aaaaaaaaaaaaaaaaSure, their market research told
them otherwise, and we got factored into whatever
profit taking may be encumbering the horizon now,
as afternoon looms. We could ignore the warning signs, but
should we? Should we all? Perhaps we should.
Der skurile Schluss – ein verwirrtes wie verwirrendes Schulterzucken – rückt die aktuelle Obsession mit Wall Street in richtige Dimensionen. Ähnliches vollzieht sich in „A Kind of Chill“, da von den Krähen gesagt wird, sie stechen eine Stechuhr („a time clock“) und der unklar bleibende „er“ des Gedichts nicht unterscheiden kann zwischen Versicherungsansprüchen, Steuerrückzahlungen und den letzten Riten der Katholischen Kirche:
No claims to adjust. No hovering in dark alleys
Waiting for a priest, or the police,
Most likely, if this were the end of the fiscal year.
Gleiches gilt für „The Handshake, the Cough, the Kiss“, dessen Titel aus Audens „At Last the Secret is Out“ geborgt wurde. In diesem Gedicht heißt es
Did the islands ever get in touch with you?
Turns out the bill was sent
to the wrong address. We have no credit rating
any more. We must try to live without it,
and the unsuitable caresses of oldsters
gone to the gym or the country.
In diesem Abschnitt wechselt das Gedicht von einem Moment zum nächsten den Gang mit einer falsch anmutenden Parallelsetzung von Geldgespräch mit einer sexuellen Andeutung. Wohin sind all diese Möchtegernliebhaber gegangen? „To the gym or the country“: der kurze Satz bannt das sinnleere Stadtleben perfekt aufs Papier.
Und dennoch ist der Ashbery von A Worldly Country trotz all der Clownerien, der Selbstparodie, den satirischen Allusionen an die Sprache der Wall Street auch ein überaus bewusster Dichter des Sterbens und der letzten Dinge. Eines der besten dieser neuen Gedichte ist „The Binomial Theorem“, ein Gedicht aus sechs Fünfzeilern, das mit Smalltalk über „shortfalls“ und die „chattering classes“ beginnt, um dann so plötzlich wie Reverdys Wassertropfen auf die dringende Frage umzuschwenken, die keine algebraische Gleichung beantworten kann „What time is it? / Or was it?“ Und schließlich
Imagine that you can have this time any way it comes
easily, that a doctor wrote you a prescription
for savage joy and they say they can fill it
if you’ll wait a moment. What springs to mind?
Wäre es nicht eine feine Sache, ein solches Rezept ausgestellt zu bekommen? Die Realität aber sieht gänzlich anders aus: der Dichter sieht sich selbst aus der Apotheke laufen und beobachtet seinen Versuch, den Bus „that stops at the corner of 23d street“ zu kriegen, um feststellen zu müssen, dass die Ampel von Rot zu Grün springt, so dass der Bus fortfährt und ihn zurücklässt „out of breath and silly from running“.
Jeder Stadtbewohner kennt diese Erfahrung. Doch was passiert im Anschluss? Bekommt der Protagonist einen Herzanfall? Stolpert er über die Bordsteinkante? – Nein, er wird das Opfer von jemandem „standing near the door“, der eine Umfrage unter den Fahrgästen macht. Das Leben, so will uns dieses Gedicht sagen, ist genau so: der Kreis kann nie begradigt werden. Ergibt sich der Dichter daher in Schwermut und Verzweiflung? Keineswegs:
aaaaaAll the way home we argued about whether
refunds would be made in cash or against future purchases.
It’s the only way, you said. We’ll end up wanting these anyway.
Hier findet sich der „bewegende und lebensechte“ Prozess, den Ashbery Reverdy zuschrieb. Was Ashberys Dichtung so einzigartig macht, ist die Tatsache, dass sie wirklich die Bewegungskurve durch das weltgewandte Land aufzeichnet, die der Dichter und sein Partner David Kennani zurücklegen, während sie versuchen, die weltlichen Gegebenheiten mit dem Einweg-Bogen der Zeit unter einen Hut zu bringen, der die „passionate landscapery“ der Gegenwart Ashberys ausmacht. Die brutale Macht der Wörter „end up“ in der letzten Zeile drängt sich schlussendlich doch in den Vordergrund: es gibt keinerlei Nachlass auf den Tod. Das aber soll nicht weiter stören. „All the way home“ streiten „wir“ weiter über Zukünftiges.
Ashberys Dichtung wird oftmals als surreal, phantastisch oder gar exzessiv obskur beschrieben. Doch hier in ihrem neusten Kleid könnte sie kaum noch wahrer und näher am Leben sein.
Marjorie Perloff, Nachwort
dem einflussreichsten US-amerikanischen Dichter der Gegenwart haben sich einige der wichtigsten deutschsprachigen Dichter wie Gerhard Falkner und Uljana Wolf, renommierte Ashbery-Übersetzer und Dichter wie Erwin Einzinger und Joachim Sartorius wie auch weitere angesehene Übersetzer anglo-amerikanischer Lyrik wie Iain Galbraith und Margitt Lehbert zusammengefunden und jeder für sich Gedichte ausgewählt und übersetzt.
So lässt sich vielfach an verschiedenen Fassungen die Bedeutungsvielfalt jedes Gedichts, die Schwierigkeiten und die Schönheit des Lyrikübersetzens nachvollziehen. Der Band ist mit einem Nachwort der Literaturkritikerin und Ashbery-Spezialistin Marjorie Perloff versehen.
Der jüngste und 27. Band des derzeit wohl wirkungsmächtigsten US-amerikanischen Lyrikers zeigt den 1927 in Rochester geborenen John Ashbery erneut als den unangefochtenen Meister des doppelbödigen Versteckspiels. Die Bedeutung des schon zu Lebzeiten zur Legende gewordenen New Yorker Weltbürgers ist hierzulande höchstens mit jener Friederike Mayröckers zu vergleichen.
luxbooks, Klappentext, 2010
– Seine Sprache ist ein Thesaurus: Die Gedichte des großen amerikanischen Lyrikers John Ashbery sind in einem wunderbaren Band versammelt. Siebenundzwanzig Übersetzer haben daraus ein beeindruckendes Experiment geschaffen. –
Es ist ein vielsagendes Zentralwort, das dieser deutschen Ausgabe den Titel gibt. Im Amerikanischen heißt der Gedichtband von John Ashbery – es ist bereits sein siebenundzwanzigster – recht schlicht A wordly country. Wer daraus Ein weltgewandtes Land macht, lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die kuriose Wendung, mit der unsere Sprache jemanden bedenkt, der vielerorts herumgekommen ist und sich überall zurechtfindet. Denn was soll „weltgewandt“ anderes bezeichnen als jemanden, der eben in der Welt gewandert und deshalb in vielem, wie man sagt, bewandert ist? Das gelingt nur wenigen, weshalb der erste Vers der „Odyssee“ – in der Übersetzung von Johann Heinrich Voss – ja eigens dazu auffordert, die Taten jenes „vielgewanderten Mannes“ zu singen, der es darin zur Meisterschaft gebracht hat.
Übersetzen als prekäre Schiffspassage
Ezra Pound schlug einst eine andere Übersetzung für das berühmte Beiwort des Odysseus vor: „polytropisch“. Es hebt hervor, dass dieser Weltgewandte seine ausgedehnten Fahrten nur dadurch überlebt, dass er sich stets durch vielerlei Verkleidungen, Verleugnungen und Wendungen – und das heißt namentlich: durch seine sprachlichen Veränderungen – beständig wandelt und so strategisch dem Ortsüblichen unterstellt, ohne sich doch völlig zu verlieren. Damit wird Odysseus zu einer Leitfigur des Übersetzens, denn dieser Kunst der sprachlichen Verwandlung muss es ja ebenfalls darum zu tun sein, bei allem notwendigen Wechsel von Gestalt und Kode das Eigentliche, das es wahrzunehmen oder mitzuteilen gilt, nicht aufzugeben oder zu verlieren.
Es ist daher gewiss kein Zufall, dass unser Wort für „Übersetzen“, wenn man den Akzent auf seine erste Silbe legt, mit der Überquerung eines Flusses einer prekären Schiffspassage gleichkommt. Passend dazu heißt es bei Ashbery: „Der müde Fluss zog vorbei, / wollte das gleiche Lied noch einmal hören“ – so jedenfalls in Uljana Wolfs Übersetzung. In der Version von Marcus Roloff hören wir das gleiche Lied vom Fluss etwas anders:
Der matte Fluss floss vorüber,
um dir noch mal mit demselben Lied zu kommen.
Welcher Passage er lieber folgen will, kann selbst entscheiden, wer sich auf das Experiment einlässt, das dieser wunderbare Band bietet.
Nicht weniger als 27 Übersetzerinnen und Übersetzer tragen hierzu ihre Arbeit bei. Die knapp fünf Dutzend Gedichte aus A worldly country erscheinen nicht nur zweisprachig, sondern in je zwei bis sechs unterschiedlichen deutschen Versionen; nur gelegentlich steht eine Übersetzung mal allein. Ansonsten ist dieses gesamte Buch auf das schönste polytropisch.
Wortkarnickel kommen um die Ecke gehoppelt
Ein passenderes Geschenk hätte der Verlag diesem sprach- wie weltgewandten Altmeister nicht machen können (wenngleich die Druckfehler in den amerikanischen Originaltexten die Feierstimmung etwas trüben). Denn wie dieser Band bestätigt, fasst Ashbery die Dichtkunst als zutiefst demokratische Unternehmung auf, die gegenüber allen Einflüssen wie Teilhabern grundsätzlich offen zu halten ist. Wohl keinem anderen Lyriker der Postmoderne ist diese Verbindung aus Gelehrsamkeit und Popularität, aus hohem Ton und Umgangssprache, Kunstverstand und Publikumsinteresse, Elfenbein- und Aussichtsturm mit derart leichter Hand geglückt. Seine Sprache ist immer schon – im Wortsinn – ein Thesaurus, ein reich bestücktes Schatzhaus, daraus jeder sich mit Witz und Lust bedienen mag, um sich auf die Welt des Fremden einen Reim zu machen.
Dies gilt erst recht für die reichhaltigen Verfremdungen des Übersetzens:
Und als du dich dem Thesaurus hingabst,
oder, genauer gesagt, hingegeben wurdest,
kamen hopp hopp die Worthäschen daher.
Bald war es dunkel.
Oder aber, in alternativer Wendung:
Und als du dich dem Thesaurus hingabst,
oder, genauer, ihm hingegeben wurdest,
kamen die Wortkarnickel um die Ecke gehoppelt.
Es dämmerte bald.
Bei derlei Lektüre dämmert uns in der Tat, dass die Kunst der Lyrikübersetzung eben nicht, wie oft behauptet, eine Verlustrechnung aufmacht, bei der es nur noch darum geht, was in der neuen Version alles fehlt. Vielmehr stiftet dieser reichhaltige Band durchweg zur Erkundung an, was durch die Wendungen und Wandlungen eines Gedichts in eine andere Sprache immer auch gewonnen werden kann: „Other solutions proposed themselves“ heißt hier „Andere Lösungen boten sich an“ und zugleich „Andere Auswege boten sich ganz von selbst an.“
Tobias Döring, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.3.2011
Denis Scheck empfiehlt John Ashbery: Ein weltgewandtes Land.
Gisela Trahms: Ohnmacht und Sorbets
poetenladen.de, 25.2.2011
Kristoffer Cornils: Weltgewandtes Land
fixpoetry.com, 25.11.2011
Dorothea von Törne: Zahlendämmerung. Coolness der Jugend, Coolness des Alters
Die Welt, 30.4.2011
Matthias Göritz: Jam-Session der Götter
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.7.2017
Christina Horsten: John Ashbery… wird 90 und schreibt weiter moderne Gedichte
Lausitzer Rundschau, 28.7.2017
John Ashbery – The Poet’s View.
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