Ann Cottens Gedicht „Korruption der Natur“

ANN COTTEN

Korruption der Natur

Kaulquappe, peitsch mich, komm, das kannst du
wenn du dich ein bisschen zusammenreißt, kannst du
das sehr schön. Es liegt in deiner Natur. Ich liege doch da,
weiß, im gefriernahen Alpenwasser, nackt,
zitternd, geheime Gänsehaut, komm, mach es einfach, schlag zu.
Mir ist egal, ob du später ein Mönch wirst
oder ein Forscher, ein Moloch, oder einen verdammten
Unkenruf kriegst. Jetzt bist du das hier und,
Gott, ich bitte dich, schlag mich, du Quappe.

2008

aus: Kolik Heft 41, 2008

 

Konnotation

Als poetisch-linguistische Erforscherin von Sprachfeldern, die es gegen den Strich zu bürsten gilt, betreibt die Dichterin Ann Cotten (geb. 1982) u.a. mit zwei Kolleginnen die sogenannte „Rotten-Kinck-Show“. Aus einem Zufallsfund heraus entstanden, verfertigen die Autorinnen „Tierbabybingo“-Gedichte, in denen Tiere zum poetischen Spielmaterial werden. Zwar verweisen die Akteure programmatisch darauf dass es darum gehe, die „hände in unfug zu waschen“ oder „die Bescheuertheit der Inspiration zu erproben“ (Ann Cotten). Das Ergebnis sind aber veritable Gedichte von einer erstaunlichen Frische.
Eine masochistische Szene wird in den animalischen Bereich verlagert. Die Kaulquappe als noch nicht voll entwickeltes Wasser-Wesen erscheint hier als Akteurin gewaltfundierter Luststimulierung. Ann Cottens Sprachspiele suchen stets den überraschenden Vokabel-Mix und die demonstrative Koppelung heterogener Sprechakte und Motivfelder. Die Kaulquappe als Domina: Das hat auch eine unwiderstehliche Komik.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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