DURS GRÜNBEIN
Belebter Bach
mit alten Autoreifen, Glas,
Sperrmüll und der Attrappe
eines kleinen Wehrs
aus Zellophan und Schrott,
in dem inmitten Schaums
auf einem Ölfilm ausgesetzt
ein grüner Badefisch sich
zwischen Zweigen schaukelnd
leicht um seine Achse dreht.
Kommt
Wellen klaren Wassers, kommt.
1985/86
aus: Durs Grünbein: Grauzone morgens. Suhrkamp Verlag. Frankfurt a.M. 1988
Bevor sich der früh zum „Götterliebling“ (Gustav Seibt) erhobene Dichter Durs Grünbein (geb. 1962) ästhetisch auf „antike Dispositionen“ konzentrierte, schrieb er 1987/88 seine wunderbar plastischen Momentaufnahmen aus der Endzeit der DDR. Wie sich das Bild einer gefährdeten Natur jenseits aller Idyllik in Verse fassen lässt, demonstriert Grünbein mit dem Genrebild eines mit Abfällen verschütteten Baches.
Hier regiert jener präzise Blick auf ein zerstörtes Biotop, wie er in unbarmherziger Wucht zuerst vom großen poetischen Formenzertümmerer Rolf Dieter Brinkmann (1940–1975) entwickelt wurde. Der „belebte Bach“ erscheint als eine Ansammlung funktionslos gewordener Alltagsgegenstände, die ohne jede Rücksicht auf die natürlichen Lebensgrundlagen ins Wasser geworfen wurden. Aber selbst im wüsten Durcheinander blitzt Schönheit auf: Der „grüne Badefisch“ wirkt wie ein arrangiertes Artefakt in einem Collage-Kunstwerk. Und was endgültig vertrieben schien, kehrt in den beiden Schlussversen zurück – die emphatische Beschwörung eines Natur-Elements.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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