Erika Burkarts Gedicht „Phasen“

ERIKA BURKART

Phasen

Es gibt ein Licht in der Dämmerung,
das glimmt auf den Zweigen wie Schnee,
Muschelinnres der Himmel,
wo er die Erde umfaßt.

Die erste Sichel, die zweite.
Wenn die Kugel voll ist,
ändert das Wetter,
die Nacht trübt ein
und die Flut verebbt.

Es gibt ein Licht in der Nacht,
das wartet, solang wir es suchen.

um 2000

aus: Erika Burkart: Ortlose Nähe. Ammann Verlag, Zürich 2005

 

Konnotation

Dichtung kann – gemäß einer alten romantischen Utopie – eine magische Illumination sein, eine Art Lichttherapie, die ein begütigendes Glimmen über die Dinge legt. Die Schweizer Dichterin Erika Burkart (geb. 1922) versucht in ihren Gedichten diesen magischen Zauber in ihrer Betrachtung der Welt wiederzuerwecken. Das alte Inventar der Poesie – Himmel, Erde, Schnee, Licht, Nacht – wird von einem Kreis aus beschwörenden Worten eingefasst.
Der Gestus des romantischen Mond-Gedichts verbindet sich mit einer schamanistischen Beschwörung der Naturelemente mitsamt der Gezeiten. Die einzelnen Mond-Phasen erscheinen als Gesetzgeber der Naturprozesse. Die beiden Schlusszeilen suggerieren schließlich, dass es noch eine Korrespondenz zwischen dem Menschen und den Lichtereignissen geben könnte, gesteuert vielleicht von einer transzendenten Instanz.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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