FRANZ HODJAK
Gedicht mit Radfahrer
Der Radfahrer, hier
im Wald, er ist weder
noch. Er radelt, immer
schneller, er rast davon, überholt
den Wind, den Anfang, den eignen
Herzinfarkt, die Post, die Freiheit, das
Licht. In der Geschwindigkeit, die
er inzwischen erreicht hat, ist
er kaum noch sichtbar. Er verkörpert
unsre Überzeugung, die sich
nicht mehr immer und ewig
beides leisten kann, Verfolgten
und Verfolger. Er ist
sowohl als auch. Wir sind
stolz auf ihn. Wir setzen
auf seinen Sieg.
nach 2005
aus: Franz Hodjak: Ankunft Konjunktiv. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1997
In der rumäniendeutschen Literaturszene der 1970er und 1980er Jahre agierte der in Hermannstadt geborene Franz Hodjak (geb. 1944) als Schlüsselfigur. Als Lektor im Dacia Verlag und als Poet mit unverwechselbar lakonischer Schreibweise zog er schon vor seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik 1992 mit seinen „sanften Visionen von einem kleinen Teil des Weltuntergangs“ die Aufmerksamkeit des deutschen Literaturbetriebs auf sich.
In seinem unverkennbar trockenen Witz entziffert Hodjak hier die verbissenen Anstrengungen eines Mountain-Bikers als komische Aufhebung der traditionellen Gegensätze zwischen Anfang und Ende, Bewegung und Stillstand, Verfolgung und Verfolgtsein. Hodjaks ironisches Porträt des zwanghaften Hochgeschwindigkeits-Radfahrers im Wald ist auch eine subtile Kontrafaktur zu Bertolt Brechts berühmtem „Radwechsel“-Gedicht (vgl. Lyrikkalender, 5.4.2007). Bei Brecht setzt die Reflexion erst durch den Stillstand ein, bei Hodjak wird das Nachdenken von der Raserei des Bikers gleichsam überrollt.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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