HANS ARNFRID ASTEL
Kurzes Liebesgedicht
Weißt du noch,
wie wir auf dem Teppich geblieben sind?
1970/71
aus: Hans Arnfrid Astel: Neues (& altes) vom Rechtsstaat und von mir. Alle Epigramme. Zweitausendeins Verlag, Frankfurt a.M. 1978
Es kommt vor, dass geläufige Redewendungen oder Phraseologien die in ihnen gespeicherte Bedeutung eher verbergen denn freisetzen. So übersetzt das Duden-Universalbwörterbuch die Redeweise von „auf dem Teppich bleiben“ in eine pragmatische Haltung: „in angemessenem Rahmen bleiben“. Der Epigrammatiker Hans Arnfrid Astel (geb. 1933) spielt dagegen in einem der kürzesten Liebesgedichte der Literaturgeschichte mit einem schönen Doppelsinn dieser Wortbildung.
Der Zweizeiler zeigt also eine gelungene Paradoxie: Wie zwei Liebende nämlich „in angemessenem Rahmen“ bleiben, indem sie gerade nicht in einem angemessenen Rahmen bleiben. Der Liebesakt findet hier an einem unüblichen Ort statt, man bleibt buchstäblich auf dem Teppich. Da mag man nun dem Autor eine Neigung zur Pointensucht vorwerfen. Aber selbst wenn es sich in einen Grenzbereich zum Kalauer wagt, so leistet das „kurze Liebesgedicht“ doch eine schöne Reminiszenz: die Erinnerung an einen Augenblick des großen Glücks.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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