HEIDI PATAKI
revirement
ich bin der rüssel der den braten riecht
ich bin das lackmus das in säuren kriecht
ich bin das blatt vorm mund der menschensohn
ich bin die große hoffnung der nation
ich bin der schnösel der von zukunft schwärmt
ich bin der denker der vom ende lärmt
ich bin der sogenannte nächste auf dem thron
ich bin die große hoffnung der nation
ich bin der strick der keine zicken duldet
ich bin der schmonzes dem man achtung schuldet
ich schmelze auf der zunge bin ein malzbonbon
ich bin die große hoffnung der nation
ich bin der baal zebub der ekle fliegenkönig
ich bin das wort ich bin das wörtlein ewig
ich bin kaputt krepiert kaputt und ohne lohn
ich bin die große hoffnung der nation
1968
aus: Heidi Pataki: Schlagzeilen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1968
„Das Zeitalter des Gedichts geht zu Ende“, hat Heidi Pataki (1940–2006), die österreichische Dichterin und Aktivistin der experimentellen Poesie, in einem ihrer letzten Texte verkündet. Aber bevor dieses Ende in Sicht kam, hat Pataki mit Hilfe eines raffinierten Montageverfahrens aus Zitaten, umfunktionierten Redewendungen, verdrehten Sprichwörtern oder Werbeformeln furiose surrealistische Gedichte geschaffen.
Dass diese Gedichte auch „einen Diskurs mit den Quellen“ führen, wie eine aufmerksame Pataki-Leserin angemerkt hat, zeigt hier der verborgene Bezug auf ein prophetisches Stefan George-Gedicht (vgl. Lyrikkalender vom 26.4.2009), in dem das Ich des Dichters zur quasi-göttlichen Instanz erhoben wird. Bei Pataki erscheint dieses Ich als Sprachhülle, die mit ständig neuen kuriosen und paradoxen Bestimmungen seiner Individualität ausstaffiert wird. Statt auf die Selbsterhöhung des Subjekts setzt Pataki lieber auf die Depotenzierung. „ich bin der schmonzes dem man achtung schuldet“: Eine solche Subjektivität verlangt keinerlei Ehrfurcht mehr, sondern allenfalls die Bereitschaft zum Sprachspiel.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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