HUGO BALL
Mein Dämon hat keine Brüder und Schwestern.
Mein Dämon ist nicht von heute und gestern.
Als Gott, der Herr, die Welten machte,
Saß mein Dämon dabei im Grase und lachte,
Schnitt sich die Zehennägel entzwei
Und sah an der ganzen Welt vorbei.
um 1910
aus: Hugo Ball: Gedichte. Hrsg. v. Eckhard Faul. Wallstein Verlag, Göttingen 2007
Der Dichter, Freigeist und Mystiker Hugo Ball (1886–1927) hat um 1905 als eher konventioneller Dichter begonnen – mit sehr naturfrommen Gedichten, die noch nichts von der Dynamik des Literaturrevolutionärs erkennen lassen. Nach 1912 beginnt er seinen an Kehrtwenden reichen Weg durch die geistigen Extreme seiner Epoche. Er mutiert vom Patrioten zum Pazifisten, vom Theatermann zum Anarchisten, danach zum Virtuosen des Lautgedichts, zuletzt zum frommen Adepten der katholischen Mystik und der byzantinischen Ostkirche.
Die Ball-Forschung datiert dieses Gedicht in die literarischen Anfänge des Dichters, um 1910, als er unter dem Einfluss des Philosophen Friedrich Nietzsche (1844–1900) stand. Der Text selbst suggeriert die Präsenz über-irdischer, religiöser Mächte und ihrer dämonischen Gegenkräfte. Hier ist ein „Dämon“ das alles bestimmende Subjekt, dem die göttliche Schöpfung nurmehr ein Lachen entlockt.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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