Kurt Schwitters’ Gedicht „Das Lied Almas“

KURT SCHWITTERS

Das Lied Almas

Der Knabe saß am Bach,
Das Wasser war so hell,
Am Grunde schwamm ein Fisch,
Der Fisch schwamm blitzesschnell.
Der Knabe sprang hinab,
Das Wasser war so tief,
Und unten auf dem Grund,
Wie es da ferne rief:

Du bist nicht hier am Bach,
Und was hier blinket hell,
Das ist kein flinker Fisch.
Du sprangest blitzesschnell,
Du sprangest tief hinab,
Du sprangest weit und fern:
Hier unten auf dem Grund,
Da ist der fremde Stern.

1927

aus: Kurt Schwitters: Das literarische Werk. Bd. I: Gedichte. DuMont Verlag, Köln 1973ff.

 

Konnotation

Mit der deutsch-amerikanischen Malerin Käte Steinitz (1889–1975) entwickelte der Dadaist und „Merz“-Künstler Kurt Schwitters (1887–1948) im April 1927 das Libretto für eine „komische Oper“, die von einem planetarischen Fiasko ausgeht: dem Zusammenstoß eines Himmelskörpers mit der Erde. Die finale Kollision soll auf dem Potsdamer Platz in Berlin stattfinden. In der ersten Szene der Oper singt die Assistentin eines Astronomen ein eher düsteres Kinderlied.
Im Volkslied- und Märchenton der romantischen Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn (1806/08) wird hier die Geschichte einer fatalen Verblendung und Weltvergessenheit erzählt. Ausgangspunkt ist eine Verlockung, die Spiegelung eines verheißungsvollen Lebens am Grund des Wassers. Die zweite Strophe dementiert die schöne Utopie, zerstört das Trugbild vom hellen Bachlauf. Was bleibt, ist der Sprung in eine unermessliche Tiefe, an deren Grund ein „fremder Stern“ das Tor zu einer neuen Existenz zu öffnen scheint.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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