Nelly Sachs Gedicht „DIESE TELEGRAFIE mißt mit der Mathematik à la satane…“

NELLY SACHS

DIESE TELEGRAFIE mißt mit der Mathematik à la satane
die empfindlich musizierenden Stellen
an meinem Leib aus
Ein Engel aus den Wünschen der Liebe erbaut
stirbt und aufersteht in den Buchstaben
in denen ich reise –

um 1965

aus: Nelly Sachs: Fahrt ins Staublose. Die Gedichte der Nelly Sachs. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1988

 

Konnotation

In einem Brief vom Juli 1966 benennt Nelly Sachs (1891–1970), die „Dichterin jüdischen Schicksals“, den traumatischen Urgrund ihres Schreibens: „Der Tod war mein Lehrmeister. Wie hätte ich mich mit etwas anderem beschäftigen können, meine Metaphern sind meine Wunden.“ Damit war nicht nur die Qual ihres Volkes in den Konzentrationslagern der Nazis bezeichnet, sondern auch der Tod ihres von den Schergen Hitlers ermordeten Geliebten.
Im lyrischen Spätwerk von Nelly Sachs, den Bänden Glühende Rätsel (1965) und Die Suchende, treten neue Motive ins Licht. Neben den kryptischen Beschwörungen des „toten Bräutigams“ sind es mystische Motive, in der Musik und Engel eine Rolle spielen. In einem dieser späten Gedichte wird der alte Gegensatz zwischen einer dämonischen technisch-naturwissenschaftlichen Welt und den Sinnlichkeiten des Körpers und der Phantasie durchgespielt. Die Energie der Wünsche steckt nicht in den teuflischen Wissenschaften („à la satane“), sondern in der Schrift der Poesie.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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