OSKAR PASTIOR
Wer kommt denn da so morgenschön?
Wer morgent da so schön heran?
Wer schönt heran so morgenda?
Dat wer schön so am Morgen?
Wer kömmt da mor wer dennt da schön?
Wer gent so mör wer sot so kömm?
Wer hert wer wert denn sö?
Kömmt da wer?
Mört wer dä?
Wer dä?
Mörg
1969
aus: Oskar Pastior: Vom Sichersten ins Tausendste. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1969
Wenn einer aus der Muttersprache und ihrer grammatischen Ordnung in die sprachliche Verfremdung emigriert, kann er schließlich bei der völligen Dekonstruktion von Syntax und Semantik landen. Der siebenbürgische Spracheninstallateur und Wortmagier Oskar Pastior (1927–2006) hat immer davon geträumt, „die Schiene der Einsprachigkeit (zu) durchbrechen“ und „alle biografisch angeschwemmten Brocken und Kenntnisse anderer Sprachen… einmal quasi gleichzeitig herauszulassen“.
In einem frühen Gedicht des Bandes Vom Sichersten ins Tausendste (1969) geht die Wortalchemie Pastiors von den Melodielinien und märchenhaften Verheißungen eines Kinderlieds „Wer kommt denn da so morgenschön?“ Anschließend wird diese Zeile immer weiter in ihre Bestandteile zerlegt und auf immer kleinere Morpheme reduziert, bis die einzelnen Teile wie eine dialektale Abart der Eingangszeile erscheinen oder als rätselhafte Fremdsprache mit kleinen kryptografischen Einschüben.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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