PETER RÜHMKORF
Zersungene Lieder III
Es waren zwei Königskinder,
die liebten einander so quer;
das eine dacht, es wird minder,
das andere dacht, es wird mehr.
Das eine spricht, ich zerwandre
nach dir schon mein siebtes Paar Schuh –
traumwandelnd redet das andre,
die Augen schon ziemlich zu.
Wie sich mit Musik und Laternen
im weit abfallenden Licht
die Ausflugsschiffe entfernen,
kommt langsam die Welt außer Sicht.
Die Rosen gerade noch eben,
schon ziemlich viel Rost mit im Rot –
Das eine ziert sich zu leben,
das andere sinnt sich zu Tod.
nach 1960
aus: Peter Rühmkorf: Gedichte – Werke 1. Rowohlt Verlag, Reinbek 2000
Peter Rühmkorf (1929–2008) ist ein Dichter der vielfältigen Echos, ein handfester Ironiker, der immer wieder Tradiertes aufnimmt, um es zu „zersingen“. In der älteren Volksliedforschung bezeichnet man damit ein „Zurechtsingen“ von Liedern, ein Fort- und Weiterentwickeln derselben. Nur ein gesungenes Lied kann auch zersungen werden. Die Volksballade von den Königskindern, seit 1563 vielfach (auch mündlich) überliefert, wird bis in unsere Tage stets aufs Neue interpretiert und variiert.
Bei Rühmkorf ist es nicht wie im Urtext das zu tiefe Wasser, das die Königskinder nicht zueinander kommen lässt, sondern es sind die Unterschiede in der Wesensart, die beiden allmählich „die Welt außer Sicht“ rücken. Sie altern gewissermaßen voneinander weg: denn während das eine vor lauter Lebensängstlichkeit gar nicht erst in die Welt und in die Liebe findet, sinnt das andere sich grüblerisch zu Tod. Bei Rühmkorf scheitern die Königskinder vor allem an sich selbst, nicht, wie in Humperdincks gleichnamiger Märchenoper, an gesellschaftlichen Konventionen.
Volker Sielaff (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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