Ron Winklers Gedicht „High End Erfahrung“

RON WINKLER

High End Erfahrung

Der Morgen wechselte zwischen Auslieferung
von Atheismus und eiliger Katholisierung.
die Sonnenstrahlen schienen modern. Sie verweigerten
eine eindeutige Botschaft. Apropos:
hinter einigen Begriffen vermutete ich Bäume.
„möge er sich nicht vergoogeln –
in diesem stark nachlassenden Wald.“
nicht jede Ellipse darin war eine Lücke. aber fast.
unterwegs zertrat ein Drittes zufällig die Updates einiger Gräser.
es mochten Betaversionen gewesen sein.
die Insolvenzbewölkung am Himmel lenkte mich jedoch davon
ab.

2005/06

aus: Ron Winkler: Fragmentierte Gewässer. Berlin Verlag, Berlin 2007

 

Konnotation

Wenn es von Naturphänomenen nur noch „Betaversionen“ gibt, dann ist die Welt endgültig in der Ära der technischen Simulationen angekommen. Für einen kühlen Ironiker wie den Dichter Ron Winkler (geb. 1973) ist das Naturgeschehen kein aufblitzendes Schöpfungswunder mehr, sondern oft nur noch eine Angelegenheit der Suchmaschine „google“. Winkler gewährt den Ur-Elementen der Poesie – Wasser, Wolken, Schnee, Jahreszeiten – keinen autarken Raum mehr, sondern entzaubert sie mit szientifisch-technizistischen Gegen-Begriffen.
Winklers Lyrik polarisiert die Literaturkritik, weil sie den Naturdingen eine romantische Aura verweigert und sie nur noch als vokabuläres Spielmaterial nutzt. Was einst Naturdichtung war, erscheint nun als rhetorische Übung mit Fachbegriffen, die je nach aktuellem Reizwert und höchstmöglichem paradoxen Effekt miteinander kombiniert werden. Aber dieses Verfahren vermag der Lyrik neue Sprachfelder zu erschließen.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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