SAID
Psalm
herr
rühme mich
denn ich habe viel ausgehalten
ohne ein zeichen von dir
vielleicht bist du nur das echo von meinem schrei
doch dann hilf mir
aus meiner klage ein lied zu machen
an dem sich kommende fremde erwärmen können
nach 2000
aus: SAID: Psalmen. Verlag C.H. Beck, München 2007
Es klingt wie das Gebet eines hochmütigen Ungläubigen, der an einen fragwürdigen „Herrn“, dessen Legitimität doch längst zur Disposition steht, seine Appelle und Wünsche richtet. In einem seiner insgesamt 99 Psalmen verlangt Said (geb. 1947), der Münchner Dichter persischer Herkunft, sogar die Umkehrung der tradierten Rollen. Nicht die göttliche Instanz ist zu rühmen, sondern es ist der Mensch, der die Rühmung seiner selbst durch Gott verlangt.
So entsteht ein sehr paradoxer Psalm: Denn „der Herr“ wird nach guter materialistischer Tradition, als Projektion der menschlichen Transzendenzsehnsucht gedeutet. Und dennoch wird der bezweifelte Gott um Beistand gebeten wie eine Muse, die einem Poeten zu Höchstleistungen verhelfen kann. Obwohl er in seinen Psalmen immer wieder eine atheistische Skepsis an den Tag legt, kommt Said nicht los von der Idee einer göttlichen Instanz.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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