SILKE SCHEUERMANN
Polonaise mit Traumliebhabern
Was geschieht wenn ich einschlafe
und jemand mich wie Jezebel nur so
zum Test treulos und blind in den Winter schickt?
Wenn es so kalt wird, dass ich brenne
und strample und unter meinen
Füßen Asphalt flüssig wird?
Wirst du kommen und mich wieder herein
tragen in dieses Zimmer in dem ich dich liebe
und in das ich gehöre Immer nicht nur wenn
ich daliege und darauf warte aufzuwachen
deine Hand zu erkennen Teil der
Schattenpraxis und so schön wie Teufelsadern?
nach 2005
aus: Silke Scheuermann: Über Nacht ist es Winter. Schöffling & Co., Frankfurt a.M. 2007
Seit Silke Scheuermann (geb. 1973) mit ihrem Debütbuch Der Tag an dem die Möwen zweistimmig sangen (2001) die Bühne der Literatur betreten hat, zirkuliert die Legende, die Autorin sei eine zarte Wiedergängerin der großen Ingeborg Bachmann (1926–1973). Solche Vergleiche haben mehr mit dem Bedürfnis nach neuen Ikonographien des anmutig Weiblichen als mit der Lektüre der Gedichte selbst zu tun. Im Fall Silke Scheuermann gibt es aber einige Gedichte, die sich im intertextuellen Spiel auf die Poesie der Bachmann beziehen.
Das schöne Liebesgedicht aus dem Band Über Nacht ist es Winter (2007) referiert auf die fluiden Übergangszonen zwischen Wachen und Schlafen, in denen die Wünsche sich selbständig machen. Man hört hier die Anklänge an Bachmanns Gedicht „Mein Vogel“ („Was auch geschieht: die verheerte Welt / sinkt in die Dämmrung zurück“), aber auch an Hölderlins „Hälfte des Lebens“. Silke Scheuermann bevorzugt eine poetische Liebes-Phantastik, oft angelehnt an Märchenmotive. Ihre modernen Mischwesen sitzen als vermeintliche Werwölfe im Park, Wasserfrauen verlassen das Meer, um sich Stöckelschuhe zu kaufen.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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