SILKE SCHEUERMANN
Requiem für einen gerade erst eroberten Planeten mit intensiver Strahlung
Aber was kommt wenn wir uns alle Geschichten erzählt
haben zehntausend heiße Geschichten
das Lexikon unserer Luftschlösser durchbuchstabiert
ist und wir unseren Stern durchgesessen haben wie das Sofa
auf dem wir uns sehr genau kennenlernten
wenn wir dann stumm am Fenster sitzen und rauchen
Nächte von fast vollkommener Stille
in denen nur deine letzten Sätze nachhallen
Sie sprachen davon daß wir
beide eigentlich Himmelskörper sind
die eine so große Anziehungskraft haben
daß sie nicht einmal ihr eigenes Licht fortlassen
also nicht leuchten sondern schwarz sind
an ihrer Zunge verbrannte Erzähler
um 2000
aus: Silke Scheuermann: Der Tag an dem die Möwen zweistimmig sangen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2001
Der literarische Erfolgsweg der Dichterin Silke Scheuermann (geb. 1973) begann 2001 mit der zaghaften Frage nach der „Weltalltauglichkeit“ ihrer lyrischen Helden. Diese Frage war im Gedicht mit dem barocken Titel „Weltraumspaziergang an der goldenen Nabelschnur von Hieronymus Bosch“ versteckt. Es waren solche phantastischen, ins Kosmologische weisenden Gedichttitel, mit denen sich die junge Dichterin sofort die Aufmerksamkeit des Publikums eroberte.
Die Akteure dieses Liebesgedichts figurieren als „Himmelskörper“, die indes ihre Lichtenergien nicht austauschen, sondern im eigenen Kraftfeld verschließen. Das planetarische Szenario dient hier also als absolute Metapher für die gegenseitige Anziehungskraft und gleichzeitige autistische Verschlossenheit eines letztlich scheiternden Liebespaars. Die disparate Bildlichkeit des Gedichts verbindet unterschiedliche Figurationen des Abschieds: Das Ende der Verständigung, den Illusionismus der Liebes-Utopie („das Lexikon unserer Luftschlösser“) und den Rückzug auf sich selbst.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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