ULRIKE ALMUT SANDIG
Immer viel zu spät aufstehn und immer ist
mir zu kalt. Immer denk ich ans Heimgehn
und heimlich im eigenen Zimmer: an mich
und niemanden sonst. Immer verrenk ich
beim Strecken der eigenen Knochen: dich.
Weiter nichts machen. Wochenlang schlafen
zur Übung fürs Wegsein in Abwesenheit
des selbst heimgebrachten Schneeballs
aus LICHT, der durch den Abfluss
(War ich wieder zu spät?) ins nicht,
nie mehr Sichtbare fiel.
nach 2004
aus: Ulrike Almug Sandig: streumen. Connewitzer Verlagsbuchhandlung, Leipzig 2007
Ulrike Almut Sandig (geb. 1979) inszeniert das schwebende Widerspiel der gegensätzlichen Wünsche: Ein Ich träumt vom Weggehen und zugleich vom Heimkehren, von einem transitorischen Zustand, einer Suchbewegung, die auf kein festes Ziel gerichtet ist. Imaginiert wird das Wechselspiel zwischen Verankert-Sein und Unverankert-Sein, von Einkehr und Deterritorialisierung. Das Ich kann auf keinem festen Standort beharren, sondern bleibt im Provisorium – das Gedicht als eine „Übung fürs Wegsein“.
Die Gedichte der Leipziger Poetin und Zeitschriftenherausgeberin (EDIT) gehören mit zu den hoffnungsvollsten Sprachereignissen der jungen deutschen Lyrik: Hier verbinden sich lyrische Impulse zu einer diskreten Form, zu Texten, die sich nicht um eine feste Bedeutung gruppieren oder gar eine geschlossene metaphorische Welt aufbauen wollen, sondern eher dem Vagabundieren gleichen – Sprachbewegungen also, die sich erst in das Reich der Zeichen hineintasten, bevor sie ihre Richtung finden.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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