Ursula Krechel: Rohschnitt

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Ursula Krechel: Rohschnitt

Krechel-Rohschnitt

1

Beginne ich zum Ende spurlos
aufgeklärt von Anfang an
heiterer zwischen den Zeilen versteckt
beginne ich zu sprechen beginne ich
mich zu entfernen spurlos
mein Ich verliert sich
ich habe mir die Tür gewiesen
wer sagt hinterrücks ich zu mir
bei wechselnder Witterung?

 

 

 

Eine Wanderung

Ein höchst interessantes, ein höchst eigenwilliges Buch, dass den erfolgreichen Versuch eines Langgedichtes beinhaltet. Man liest sich hinein und wird gefangengenommen im wahrsten und literarischsten Sinne. Es ist das Halten und Loslassen einer Zeit, in der eine junge Ursula Krechel Bilanz zieht. Nicht immer scheint ihr das im vollen Umfange zu gelingen, aber es bleibt ein Kontext der die weibliche Entwicklung und Loslösung aus verstaubten Strukturen markiert. Dort eine verkrustete Gesellschaft, die geprägt ist von religiös-archaischem Denken, dort eine junge begehrenswerte und aufbegehrende Frau, die sich unter Schmerzen davon löst, und schließlich ihren eigenen Weg geht. Hätte Ursula Krechel nicht dieses lyrische Zeitzeugnis geschrieben, es müsste heute geschrieben werden. Auch das Buch selber zeigt zwar Spuren einer längeren Lagerung, was vom Verkäufer auch angegeben wurde, es ist aber ansonsten ein unbeschädigtes Buch, das sich gut in meiner Bibliothek macht.

Hanno Hartwig, amazon.de, 17.4.2012

Ursula Krechel: Rohschnitt

Ursula Krechel, Germanistin und Autorin, schrieb ein Gedicht in sechzig Sequenzen. Heißt es am Ende der ersten Sequenz: „Ich habe mir die Tür gewiesen, wer sagt hinterrücks ich zu mir bei wechselnder Witterung?“, so schließt die letzte mit der Feststellung:

So ging ich aus dem Haus, sah mich nie wieder. Aber da war ich schon über den Berg.

Dazwischen liegt der Aufbruch dreier Frauen, oder wenn man so will, einer Frau in dreifacher Gestalt, „die Kluge, die Schöne, die Mutter“, denn vielleicht ist es auch nur eine einzige Frau, die ihr Ich hinter vielen Rollen verbirgt. Auch ein Kind ist mit „im Troß, klüger und weitsichtiger als Hansimglück“.
Wohin geht die Reise? Quer durch Länder und Zeiten mit wechselnden Bildern, Verwandlungen und Reflexionen. Da wird etwa nach den Müttern gefragt, sie bringen die Kinder zur Welt, doch „wo waren sie, bevor sie Mütter waren und wie?“ Sogar ins Kino geraten die Frauen und tragen Bilder mit sich fort. Ein Schuhkauf wird lyrisch besungen, und nachts verwandeln sich alle drei in „reisende Wölfinnen“. Dazwischen tauchen Sprachspiele mit mehr oder weniger ernstem Hintergrund auf – „Eine Hand wäscht die andere, die sich gewaschen hat, aber eine will nicht gewaschen werden, will die andere waschen, aber die wäscht eine, die schon die andere wäscht.“ Anderes liest sich dagegen wie bloße Abzählreime, dann wieder purzeln Begriffe durch die Zeilen, Begriffe unseres Jahrhunderts, aktuell und politisch: Deutschland, Bildungsurlaub, Ärzteschwemme, Tiefgarage, Nullwachstum und anderes mehr. Schließlich wird gar die Frage gestellt:

Wo ist die Handlung?

Eine Frage, die der Leser, der bis hierhin den widersprüchlichen, mitunter gar zur gewollten und künstlich gesetzten Bildern und Zeichen gefolgt ist, begierig aufgreift. Ja, wo ist sie denn nur, die Handlung, die tiefere Bedeutung in all diesen mysteriösen Handlungs- und Erzählsträngen, aus denen Ursula Krechels langes Gedicht besteht, das sich herkömmlicher Etikettierung versagt und im Grunde auch wiederum nur das meint, was viele Frauen im Leben und beim Schreiben bewegt: Wie finde ich den Weg zu mir selbst?
Rohschnitt, belehrt uns der Klappentext, „heißt in der Sprache des Films die erste Montage zusammengehörender Teile.“ Vielleicht ist’s erlaubt, die Versuchsanordnungen der Autorin anders zusammenzusetzen, so daß neue Seh- und Deutungsweisen möglich werden, Wer weiß, am Ende wird’s gar noch ein richtiger, fertiger Film. Womöglich erwächst dann aus überfrachteten Bildern und punktuellen Einsichten doch noch ein geschlossenes Ganze.

Ursula Homann, Deutsche Bücher, Heft 4, 1983

 

 

 

Ein Gedicht und sein Autor: Ursula Krechel und Jan Wagner am 17.7.2013 im Literarischem Colloquium Berlin moderiert von Sabine Küchler.

 

Zum 70. Geburtstag der Autorin:

Andreas Platthaus: Keine Magermilch, und bloß keine Kreide
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.12.2017

Landesart: Ursula Krechel zum 70.
SWR, 2.12.2017

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Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Ursula Krechel

 

Ursula Krechel – Neue Dichter Lieben, Komposition und Klavier: Moritz Eggert, Bariton: Yaron Windmüller, Expo 2000 Hannover.

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