Elfriede Jelinek: Zu Elfriede Gerstls Gedicht „wer ist denn schon“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Elfriede Gerstls Gedicht „Wer ist denn schon“ aus Elfriede Gerstl: wiener mischung. –

 

 

 

 

ELFRIEDE GERSTL

wer ist denn schon

wer ist denn schon bei sich
wer ist denn schon zu hause
wer ist denn schon zu hause bei sich
wer ist denn schon zu hause
wenn er bei sich ist
wer ist denn schon bei sich
wenn er zu hause ist
wer ist denn schon bei sich
wenn er zu haus bei sich ist
wer denn

 

Ein- und Aussperrung

Sie bezweifeln nie, daß sie zu Hause sind, denn dort haben sie sich ihr Essen gekocht. Wo die Knochen auf den Boden gefallen sind, diesen bedeckend bis zu den Knöcheln in glänzenden Schuhen, dort, wissen sie, ist der heimische Herd, in dem sie immer wieder andere verheizt haben. Daher gehört ihnen alles mehr als den anderen. Sie sind mehr bei sich, denn nirgends ist es schöner als bei sich, um in sich bei sich zu sein, also doppelt zu sein. Das Eigene müssen sie nicht lernen, denn sie, nur sie haben es ja selbst hergestellt. Und daß sie dieses Eigene vor den Fremden behüten, macht sie, so denken sie, um so heimischer. Je mehr sie das denken, um so fester sitzen sie in sich, wie festgewachsen.
Dieses Land, das der Dichterin das Heimischwerden so lang versagt hat, sie um den Preis ihres Lebens aus dem Boden reißen wollte, ruht so besonders gut in seiner Geschichte, breit thront es da, eingegraben, eingebraten wie Erdäpfel, oder dieser eingeborene Sohn Gottes, auf den es sich fortwährend zornig beruft, denn es hat sich immer schon in sein geschichtliches Wesen gefunden, das Land, indem es dieses Wesen verleugnet, verdrängt hat.
Daß die Gerstl, die 1932 in Wien geboren wurde, mit dem, was sie seit langem und immer wieder sagt, hier nicht heimisch werden durfte, daß ihr jahrzehntelang niemand die Möglichkeit zum Sprechen gegeben hat, bis sie ihr eigenes Sagen nur mehr als Ver-Sagen zu begreifen gezwungen war, machen das Land und seine Kulturbetriebsamen damit gut, daß sie auch jetzt nicht heimisch werden darf, daß sie in der Öffentlichkeit als Sprechende nicht zählt, wo doch nur die Gebührenzahler der öffentlich-rechtlichen Verunstalter, zur Gebührlichkeit verzerrt, von den Bildschirmen herunter niemanden als sich selbst anglotzen; aber wenigstens in sich, da darf sie brav ruhen, die Gerstl, solang sie ruhig ist. Gehören tut das Land den Machern, den Schaffenden, die in ihm zu Hause sein dürfen, weil sie es unaufhörlich wieder in Besitz nehmen, in einer ununterbrochenen Aktion Landnahme mittels Landwurst und Landpomeranzen, für die auf den papierverklebten Scheiben der Supermärkte geworben wird, nur damit man nicht nach drinnen sehen kann, wo die Waren hocken, diese persönlichsten aller Erlebnisse, die den Ländlern geboten werden können.
Das Draußen, das Aus-sich-Herausgehen ist der Dichterin nicht gestattet gewesen, das jüdische Kind Elfriede Gerstl hat sich in einem abgedunkelten Raum jahrelang vor den Nazis verstecken müssen. Die Wirklichkeit ein Riß in der Verdunkelungsgardine. Das war das einzige Bei-sich-Sein, das ermöglicht war, bei Strafe der Entheimung. Die Bajonette haben hinter dem Kohlehaufen im Keller nach ihr gestochert; sie ist damals doch noch davongekommen. Ist ihre Stimme gerettet worden, nur damit später jeder behaupten kann, er hätte sie nicht gehört? Was für ein geschicktes Vaterland, das die einen in die Geschichte hineinschickt, damit sie verschwinden, nur ja nicht wieder zurückkehren, und die anderen, damit sie immer wieder aufs neue Geschichte zu machen versuchen, in der immer andre umkommen. Das Leben der Dichterin ist eh nur geborgt von damals, da sie es vor diesen Unguts-Herren verwirkt hatte. Die Türen der Heimat öffnen sich weit und lassen die Darsteller, die sich selbst darstellen und sonst nichts, heraus und verschlucken das Dargestellte, das nicht nur sich selbst meint, weil es kein Selbst sein durfte und darf. Nur das Dargestellte, das sich selbst meint, darf vorgezeigt werden auf den Festspielen in Salzburg und sonstwo, wo nicht jedermann hindarf.
Hier weist die Heimat sich vor und verlangt, daß man sie kaufe. Es gibt sie nicht, die Dichterin, und es gibt, obwohl einige kleine Bände mit Gedichten und Prosa erschienen sind, auch ihre Werke nicht, da es sie einmal schon nicht geben durfte. Was nützt es denn, im Werk zu wohnen, wenn man selbst am Herkunftsort, in Wien also, als unbekannt registriert ist? Hier sind nur die Strick- und Wirkwaren, die wir aus unserer Geschichte hergestellt haben, bekannt, denn sie sitzen fest in uns und auf uns. Die Gerstls dürfen in ihrem Grund, der uns gehört, nicht zu Hause sein. Sie ist wohl nicht ganz bei sich, wenn sie glaubt, sie kann hier was mieten.

Elfriede Jelinek, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Siebzehnter Band, Insel Verlag, 1994

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